Explosive Altlasten in Nord- und Ostsee
siehe dazu auch frühere Beiträge: https://umwelt-militaer.org/?s=Ostsee
Zwei sich ergänzende Beiträge von Burkhard Ilschner vom 17.8.2003 aus der Tageszeitung Junge Welt
Kriegsfolgen: Schilligs explosive Altlasten
Wiederholte Funde von Munitionsresten aus dem Zweiten Weltkrieg. Meeresbiologe moniert »voreilige« Löschung von Warnhinweis amtlicher Seekarten
https://www.jungewelt.de/artikel/457054.kriegsfolgen-schilligs-explosive-altlasten.html (Bezahlschranke)
Sicherheitsrisiko Meer
In der Ost- und Nordsee finden sich nicht nur jede Menge Munitionsaltlasten aus den beiden Weltkriegen, die deutsche Marine sprengt dort trotz der Kritik von Umweltverbänden auch weiterhin Minen zu Testzwecken.
In der Nord- und Ostsee lagern mehr als 1,6 Millionen Tonnen Bomben und Granaten, die dort nach den Weltkriegen versenkt wurden. Die Politik nimmt sich des Themas nur widerstrebend an.
https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/457092.kriegsfolgen-sicherheitsrisiko-meer.html (Bezahlschranke)
Auszüge aus: Sicherheitsrisiko Meer
Vor knapp zwei Jahren hatten sich in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt mehr als 150 Experten bei der »Kiel Munition Clearance Week« mit Bestandsaufnahme und Aufgabenstellung befasst. Am Ende des Kongresses forderte die Landesregierung von »der nächsten Bundesregierung« rasche Zusagen für eine industrielle Bergung der gefährlichen Altlasten, denn die Küstenländer könnten dies allein nicht lösen. Wie es danach weiterging, ist oben fragmentarisch beschrieben; was indes zu ergänzen bleibt, ist die Frage der Finanzierung – und die wird, typischerweise, zum Bremsklotz.
Grob geschätzt, geht es um mehr als 100 Millionen Euro, die das Vorhaben »Plattform« von Entwicklung, Bau und Ausrüstung bis zum praktischen Einsatz zunächst kosten soll. Die Küstenländer sehen den Bund in der Pflicht, der Bund sieht es als unabdingbar an, dass die Küstenländer sich beteiligen; das übliche Gerangel. Der Bund hat einen 100-Millionen-Euro-Etat bereitgestellt, der Haushaltsausschuss hat dazu im November 2022 eindeutig festgelegt, bis zum 30. Juni dieses Jahres »soll die Ausschreibung für die mobile, schwimmende Anlage erfolgen und bis Ende des Jahres sollen entsprechende Verträge geschlossen werden«. Das sei erforderlich, um die »Verträge für den Bau der Anlage noch 2023 schließen zu können und das Pilotprojekt so schnellstmöglich umzusetzen«.
Das Stichdatum ist überschritten, die Ausschreibung bislang nicht erfolgt. Statt dessen gewinnt der Streit an Schärfe, trotz parlamentarischer Sommerpause. Vor wenigen Tagen sorgte die IHK Nord für Druck mit einem Appell für sofortiges politisches Handeln. […]
Eine Menschen und Meeresumwelt schützende, flächendeckende und effektive Erfassung, Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten und Giftkampfstoffen wird so nur dorthin verschoben, wo sie schon jahrzehntelang hat ausharren müssen – aufs Wartegleis.
Zum Sprengen und Vergiften
I. Konventionelle Kampfmittel
Diverse chemische Stoffe wurden während beider Weltkriege als konventionelle Kampfmittel entwickelt, um im Einsatz durch Detonation oder als Brandbeschleuniger Objekte oder Menschen zu schädigen. Daneben haben diese Kampfmittel stoffliche und toxikologische Eigenschaften, die für Mensch und Umwelt gefährlich sind, wie die zwei wichtigsten Beispiele von im Meer lagernder Munition zeigen:
2,4,6-Trinitrotoluol (TNT)
Explosivstoff, mit Abstand am häufigsten während des Zweiten Weltkrieges produziert; giftig beim Einatmen, Verschlucken und Berührung mit der Haut; Verdacht auf kanzerogene und mutagene Wirkung; gefährlicher Wasserschadstoff; in der Umwelt persistent mit Gefahr der kumulativen Wirkung
Phosphor
Brandmittel und Ätzstoff, eingesetzt vor allem in Brandbomben; sehr giftig beim Verschlucken, Berührung mit der Haut und beim Einatmen; teratogene Wirkung; unter Wasser persistent; kann durch enthaltene Beimischungen (Kautschuk) aufschwimmen; ähnelt optisch Bernstein, zündet beim Abtrocknen selbsttätig, verbrennt mit 1.300 °C
II. Chemische Kampfstoffe
Chemische Kampfstoffe stören die physiologischen Funktionen des menschlichen Organismus dermaßen, dass die Kampffähigkeit von Menschen beeinträchtigt oder sogar der Tod herbeigeführt wird. Es sind gasförmige, flüssige oder feste Stoffe, die in Bomben und Granaten oder durch Abblasen oder Versprühen mit Gasflaschen oder Kanistern eingesetzt werden.
Die während des Zweiten Weltkrieges produzierten chemischen Kampfstoffe lassen sich folgenden Wirkstoffgruppen zuordnen:
1. Nervenkampfstoffe
Wichtige Vertreter: Tabun, Sarin, Soman
Hauptsymptome: Krämpfe sowie Lähmung des Atemzentrums (Atemstillstand)
2. Hautkampfstoffe
Wichtige Vertreter: Lost (Senfgas), Lewisit
Hauptsymptome: Hautrötungen, Blasenbildung, nekrotische Gewebezerstörungen mit außerordentlich schlechter Heilungstendenz, Schädigung aller Organe mit ggf. tödlichem Ausgang, stark kanzerogen
3. Lungenkampfstoffe
Wichtige Vertreter: Phosgen, Diphosgen
Hauptsymptom: toxisches Lungenödem
4. Nasen- und Rachenreizstoffe
Wichtige Vertreter: Adamsit, Clark I, Clark II
Hauptsymptome: Husten- und Niesreiz, verstärkte Sekretion der Nasenschleimhaut und Speicheldrüsen, Atemnot, Kopfschmerz und Schmerzen im Brustbeinbereich; in hohen Konzentrationen Ausbildung eines toxischen Lungenödems möglich
5. Augenreizstoffe
Wichtiger Vertreter: Chloracetophenon
Hauptsymptome: Brennen und Stechen der Augen, Tränenfluss, Fremdkörpergefühl, Lidschluss, zeitweilige Blindheit und Bindehautentzündungen; in hohen Konzentrationen bleibende Augenschäden und Ausbildung eines toxischen Lungenödems möglich