Zivil-militärische Zusammenarbeit im Inneren
Auszug aus der Broschüre: Militär und sozial-ökologische Konversion
von Götz Brandt und Karl-Heinz Peil (Juli 2020)
Inhalt
Zivil-militärische Zusammenarbeit im Inland
Entstanden ist die zivil-militärische Zusammenarbeit (engl. Civil-military cooperation – CIMIC) offiziell für drei Aufgabenfelder, die Planungen, Vereinbarungen, Maßnahmen, Kräfte und Mittel erfordern: Landesverteidigung, Gefahrenabwehr (in Katastrophenfällen) und militärische Auslandseinsätze1. Vordergründig geht es dabei um reale Bedrohungsszenarien wie z.B. bei Waldbränden oder Hochwasser, wo alle Ressourcen staatlicher und nichtstaatlicher Behörden und Organisationen mobilisiert werden müssen. Dazu gehören auch Einsätze von Militärs.
Nützliche Ressourcen der Bundeswehr
Prinzipiell kann sich auch die Bundeswehr als „nützliche“ Institution darstellen. So heißt es in einem Flyer des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: „CIMIC hat zum Ziel, so die Akzeptanz militärischer Einsätze bei der Bevölkerung zu erhöhen und hierdurch einen Beitrag im Konzept der vernetzten Sicherheit zu leisten.“2 Fünf Standorte der Bundeswehr gelten als Spezialstützpunkte mit Pioniergerätschaften (Stichworte: Hochwasser, Waldbrände). An dreizehn Sanitätsunterstützungszentren wird sanitätsdienstliche und medizintechnische Ausrüstung vorgehalten3. Hinzu kommt ein Standort zur ABC-Abwehr (gegen atomaren, biologischen und chemischen Waffeneinsatz).4
Eine bei Naturkatastrophen nutzbare militärische Ausrüstung kann von folgenden Truppengattungen der Bundeswehr eingebracht werden:
Pioniertruppen, die die Beweglichkeit der eigenen Truppe unterstützen sollen, z.B. mit Behelfsbrücken über Gewässer, können auch provisorisch Straßenschäden als Folge von Überflutungen beseitigen.
Militärische Transporthubschrauber können auch für Luftrettungsdienste bei Überflutungen eingesetzt werden. Während in der zivilen Luftfahrt in den letzten vier Jahren jeweils etwa 730 Hubschrauber zugelassen waren, sind für die Bundeswehr 2019 insgesamt 1865 Hubschrauber verschiedener Typen registriert.5
Militärische Transportflugzeuge können für zivile Hilfslieferungen eingesetzt werden, was jedoch mehr für weltweite Einsätze gilt.
Unstrittig ist, dass bei Naturkatastrophen im Inneren, vor allem bei Überflutungen, die eigenen militärischen Ressourcen sinnvoll zum Einsatz kommen können. Bereits aus den Anfangsjahren der Bundeswehr gibt es das heute noch zitierte Beispiel aus dem Jahr 1962: Bei der großen Flutkatastrophe in Hamburg veranlasste der damalige Innensenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, dass Bundeswehrsoldaten für den Katastropheneinsatz herangezogen wurden. Dieses erfolgte, obwohl Helmut Schmidt überhaupt keine Legitimation dafür besaß. Demgemäß wurde sein Verhalten zwar hinterher gerügt, jedoch gleichzeitig bundesweit anerkannt, dass er mit seinem hemdsärmeligen Verhalten Schlimmeres verhindern konnte.
Der personell größte Katastropheneinsatz der Bundeswehr erfolgte 1997 beim Oder-Hochwasser. Damals waren bis zu 10.000 Bundeswehrsoldaten gleichzeitig und insgesamt ca. 30.000 im Einsatz. (Die damalige Gesamt-Personalstärke der Bundeswehr betrug ca. 350.000.)
Die herausragende Leistung der Bundeswehr bei dem Oder-Hochwasser 1997 bestand vor allem in dem engagierten Arbeitseinsatz der Bundeswehrsoldaten, um die Flutwelle in Brandenburg abzuschotten, was sich als recht erfolgreich erwies. 3.000 Fahrzeuge und Spezialmaschinen kamen zum Einsatz. Mit 50 Hubschraubern wurden 2.000 Personen befördert und 3.500 Tonnen Material transportiert, u.a. Sandsäcke.
Ein weiterer großer Bundeswehreinsatz erfolgte 2002 bei dem Elbe-Hochwasser in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dieses führte zur Zerstörung von 740 km Straßen und 538 km Schienenstrecken sowie von 180 Brücken.
Tatsächliche Ressourcen und Propaganda
Während der Corona-Krise im Frühjahr 2020 versuchte die Bundeswehr sich als Krisenhelfer darzustellen. Praktische Bedeutung erlangte dieses aber nur in einer neu aufgelegten, teuren Werbekampagnen für Rekruten mit einer YouTube-Videoserie „Einsatz gegen Corona“. Was nach außen hin in den Wochen des Corona-Lockdowns kommuniziert wurde, war der Hinweis auf 15.000 einsatzbereite Soldaten. Wie die Tageszeitung nd aber am 11.5.2020 berichtete, gab es lediglich einige Hundert Anfragen und Ausführungen bei kleineren Unterstützungsleistungen.
„Dazu zählen bisher Unterstützungsleistungen, die vom Einkauf im Supermarkt in Wilhelmshaven bis zur Abfertigung eines Frachtflugzeuges mit gelieferten Schutzmasken reichen. Streng genommen also Lieferdienstleistungen, wie sie sonst von DHL, Lieferando oder den freundlichen Nachbarn von nebenan geleistet werden, sieht man von Spezialfähigkeiten, wie der Programmierung und Bereitstellung von digitalen Funkgeräten ab.“6
Strukturen für zivile Sicherheit
Für die Gesamtorganisation solcher Szenarien ist seit 2004 das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) beim Bundesinnenministerium (BMI) zuständig. Vorläuferorganisationen waren u.a. das Bundesamt für Zivilschutz, das noch einen engen militärischen Bezug hatte, z.B. mit Kriegsszenarien wie dem Luftschutz. Die operative Zuständigkeit liegt aber seit den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland beim Technischen Hilfswerk (THW). Das THW hat bundesweit ca. 1.200 hauptamtliche Mitarbeiter und insgesamt fast 80.000 ehrenamtliche Mitarbeiter, die größtenteils als Einsatzkräfte zur Verfügung stehen. Einige Einheiten sind auch oder sogar speziell für Auslandseinsätze eingerichtet, z.B. für die notfallmäßige Wasserversorgung durch Wasseraufbereitung.7
Das bereits genannte Oder-Hochwasser 1997 führte zu 54 Einsatztagen mit 7.200 THW-Einsatzkräften aus 392 Ortsverbänden. Der bisher größte Einsatz war das Elbe-Hochwasser 2002 mit 24.000 Einsatzkräften.
Bis 1990 wurde das THW vor allem als zivile Ergänzung der Bundeswehr angesehen, d.h. für den Zivilschutz im Kriegsfall. Danach erfolgte eine schrittweise Umstrukturierung auf Katastrophenhilfe. Sitz der THW-Leitung ist Bonn-Lengsdorf in einer gemeinsamen Liegenschaft mit dem BBK.
Als Ressource der Bundeswehr für eine zivil-militärische Zusammenarbeit im Inneren wären noch die Sanitätsdienste der Bundeswehr zu nennen. Diese haben eine gesamte Personalstärke von fast 20.000, was relevant sein kann, wenn wie z.B. bei der Corona-Krise 2020 das zivile Gesundheitswesen an Belastungsgrenzen kommt. Deutschlandweit bestehen derzeit fünf Bundeswehr-Krankenhäuser, die vom Sanitätsdienst der Bundeswehr betrieben werden und prinzipiell auch Zivilisten offen stehen.8 Nur am Rande sei hier erwähnt, dass nach dem Ende des Kalten Krieges zahlreiche Krankenhäuser stillgelegt wurden, darunter auch 22 voll ausgestattete Krankenhäuser in unterirdischen Bunkeranlagen. Insgesamt bestanden sogar (nach unterschiedlichen Quellenangaben) ca. 200 Hilfskrankenhäuser.9 Das heißt: Vorhaltungen zur stationären Versorgung von Notfallpatienten waren im Kalten Krieg mit relativ hohem Aufwand eingeplant, wurden aber in den letzten Jahrzehnten sukzessive abgebaut, auch vor dem Hintergrund der privatwirtschaftlichen und profitorientierten Ausrichtung vor allem in der Krankenhausversorgung. Unabhängig davon kann die Bundeswehr natürlich auch für Logistik- und Desinfektionsaufgaben bei Pandemien eingesetzt werden.
Problematische Strukturen und Vernetzungen
Als höchst problematische Ressource ist die Bundeswehr hingegen als Unterstützung der Polizei durch Militärpolizisten der Feldjäger als „Ordnungsdienste“ und zum Schutz kritischer Infrastrukturen anzusehen. Dazu schrieb der Menschenrechtsanwalt Rolf Gössner anlässlich der Corona-Notverordnungen:
„Doch polizeiähnliche Exekutivbefugnisse des Militärs im Inland sind verfassungsrechtlich höchst umstritten, da Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen sind – eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte. Die Bundeswehr darf nicht zur nationalen Sicherheitsreserve im Inland werden, schon gar nicht mit hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. Soldaten sind keine Hilfspolizisten, sie sind nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern zum Kriegführen ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet; und sie sind auch nicht dafür da, real existierende personelle Defizite der Polizei auszugleichen.“10
Generell müssten für fest konzipierte zivil-militärische Zusammenarbeit im Inneren Risikoanalysen eingefordert werden, die von Behörden wie z.B. dem BBK auch in planerische Szenarien umgesetzt und praktisch erprobt werden. Das entspräche den Prinzipien des Militärs, das regelmäßig in Manövern und Stabsübungen (fiktive) Szenarien zugrunde legt, um damit Schwachstellen der eigenen Fähigkeitsprofile zu ermitteln zwecks daraus sich ergebender Optimierungen.
Ende 2012 gab es eine umfassende Risikoanalyse des Bundesinnenministeriums zum Bevölkerungsschutz, wo es als Fazit heißt:
„Die auf Ebene des Bundes etablierten Strukturen und Verfahren haben sich bei der Durchführung der ersten beiden Risikoanalysen „Extremes Schmelzhochwasser aus den Mittelgebirgen“ und „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ in der Praxis bewährt. Dies gilt insbesondere für den interdisziplinären Ansatz und die Bündelung vielfältiger Fachkompetenz durch die Mitwirkung zahlreicher Bundesbehörden.“11
Die Vorgehensweise der Bundesregierung gegen die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hat nun aber gezeigt, dass die o.g. Vorbereitungen auf ein solches Szenario nicht erfolgt sind. In dem 88 Seiten umfassenden Bericht wird auch auf die Rolle der Bundeswehr (bei Hochwasser-Katastrophen) eingegangen: „Einheiten der Bundeswehr kommen unterstützend, aber in großem Umfang, zum Einsatz.“
Neben den o.g. Katastrophenszenarien spielen, wie zunehmend auch in anderen Ländern, Waldbrände in Deutschland eine wachsende Rolle.
Diese fordern eine anspruchsvolle technische Ausrüstung, z.B. mit Aufklärungsdrohnen, Löschwasserbehältern an Hubschraubern und Löschflugzeugen. Für letzteres wird aber in Deutschland bisher kein Bedarf gesehen, wie in einem Bericht des Innenministeriums des Landes Brandenburg als Analyse der Waldbrände 2018 festgestellt wurde. Kritisch vermerkt wird in dem Bericht, dass die eingesetzten Bundeswehr-Hubschrauber aufgrund von Restriktionen bei der Ausrüstung mit Löschwasserbehältern nur bedingt tauglich waren.12
Fazit: Für ad-hoc-Katastropheneinsätze kann das Militär zwar erhebliche personelle Ressourcen aufbringen, jedoch zeigen sich bereits bei der maschinellen Ausrüstung die Grenzen für effiziente Einsätze. Erschwerend kommt hinzu, dass Katastrophenschutzpläne wie bei der Corona-Pandemie 2020 schlichtweg nicht vorhanden sind, was für eine effiziente Logistik notwendig wäre. Entsprechende Szenarien bei den zuständigen Behörden sind jedoch seit langem dokumentiert.
1https://www.kritis.bund.de/DE/AufgabenundAusstattung/Zivil-militaerischeZusammenarbeit/zivil-militaerischezusammenarbeit_node.html
2https://www.kritis.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Broschueren_Flyer/Flyer_ZMZ.pdf;jsessionid=4B47232B87036F3AAFC6415E2A26493D.2_cid508?__blob=publicationFile
3https://www.bundeswehr.de/de/organisation/sanitaetsdienst
4https://de.wikipedia.org/wiki/Zivil-milit%C3%A4rische_Zusammenarbeit
5Ziviler Bestand: statista, Bundeswehr-Bestand: Wikipedia
6https://www.neues-deutschland.de/artikel/1136526.bundeswehr-selbstinszenierung-mit-millionenbudget.html
7https://de.wikipedia.org/wiki/Technisches_Hilfswerk#Auslandseinheiten_und_Module
8https://de.wikipedia.org/wiki/Bundeswehrkrankenhaus
9https://de.wikipedia.org/wiki/Hilfskrankenhaus
10http://www.ossietzky.net/8-2020&textfile=5113
11https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf
12https://mik.brandenburg.de/media_fast/4055/Waldbrandbericht_2018.pdf