Klimaschutz heißt Pazifismus heißt Klimaschutz
von Bruno Kern, Mitglied der Initiative Ökosozialismus: www.oekosozialismus.net (7.4.2022)
Inhalt
Das Militär – der größte Klimasünder?
Krieg und Militär seien, so kann man es immer wieder vor allem von friedenspolitischen Organisationen hören, die größten Verursacher von Treibhausgasen und Umweltzerstörung. Insinuiert wird mit solchen populistischen Slogans natürlich, dass allein Abrüstung und Entmilitarisierung zugleich auch das größte derzeitige Menschheitsrisiko, die Klimakatastrophe, beseitigen könnten. Indirekt wird damit kleingeredet, vor welch tiefgreifender gesellschaftlicher Transformation wir stehen und wie sehr alle unsere Lebensbereiche davon betroffen sein werden. Wie so oft, sind auch hier die Zusammenhänge nicht so schlicht, wie man es gern hätte.
Welchen direkten Einfluss haben Rüstung, Militär und Krieg tatsächlich auf das Klima? Das genau zu beziffern ist kaum möglich: Die internationalen Klimakonventionen klammern diesen Bereich völlig aus, sehen weder Emissionsziele noch Berichtspflichten hierfür vor. Dasselbe gilt für nationale Klimaschutzberichte. Die energieintensive Produktion der Rüstungsfirmen unterliegt keiner umfassenden Rechenschaftspflicht. Dennoch lassen sich aus den vorliegenden Teilstudien seriöse Schätzungen ableiten. Der derzeitige UN-Generalsekretär António Guterres hat immer wieder öffentlich geäußert, dass Rüstung und Militär für etwa 5 bis 6 % der Treibhausgase weltweit verantwortlich seien. Legt man das zugrunde, worüber uns Einzeluntersuchungen Aufschluss geben, dann dürfte er mit dieser Einschätzung einigermaßen richtig liegen.
Neta Crawford von der Boston University errechnet, dass allein die Einsätze des US-Militärs im Jahr 2017 59 Mio. t CO2 verursachten. Rechnet man die Emissionen der Rüstungsindustrie dazu, so kommt man für den Zeitraum 2011 bis 2017 auf einen Durchschnittswert von 153 Mio. t im Jahr. (Zum Vergleich: Deutschland emittiert im Jahr etwa 800 Mio. t CO2).1 Stuart Parkinson von der US-amerikanischen Organisation Scientists for Global Responsibility (SGR) hingegen beziffert die CO2-Emissionen des US-Militärs aufgrund akribischer Recherchen auf 250 Mio t (hier sind die etwa 800 Militärbasen, die die USA weltweit unterhalten, einbezogen), die Großbritanniens auf immerhin noch 11 Mio. t.2
Ist dies in Bezug auf die Klimakatastrophe nun eine eher zu vernachlässigende Größenordnung? Keineswegs! Vor dem Hintergrund der verzweifelten Lage, in der wir uns inzwischen befinden, können wir uns dieses Ausmaß an Energie- und Ressourcenverschwendung nicht mehr leisten. Die letzten IPCC-Berichte machen uns darauf aufmerksam: Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bezüglich der durchschnittlichen Erderwärmung wäre nur möglich, wenn wir bereits in diesem Jahrzehnt und dann auch in den darauf folgenden Dekaden den CO2-Ausstoß weltweit halbieren und zusätzlich Kohlendioxid mittels bislang kaum erprobter Techniken aus der Atmosphäre holen. Reduktionen in diesem Ausmaß würden nur durch einen konsequenten, drastischen industriellen Rückbau in den reichen Ländern gelingen. Damit stehen eben nicht zuletzt Rüstung und militärische Infrastruktur zur Disposition.
Dazu kommt: Die immensen Rüstungsausgaben stehen natürlich in Konkurrenz zu den finanziellen Anstrengungen für den Aufbau der Infrastruktur einer dekarbonisierten Wirtschaft, für die soziale Abfederung der Transformation und für die Abmilderung von Folgen der Klimakatastrophe. Das renommierte Stockholmer Institut SIPRI hat die weltweiten Rüstungsausgaben im Jahr 2019 auf knapp 2 Billionen US-Dollar beziffert.3 Die Tatsache, dass man in Deutschland im Gegenzug zu den absurden Aufrüstungsplänen, die zudem im Grundgesetz verankert werden sollen, den Entwicklungshilfeetat deutlich gekürzt hat, spricht wohl für sich.
Sicherheitsrisiko Klimakatastrophe
Ausgerechnet hochrangige Militärstrategen scheinen ein besonders geschärftes Bewusstsein dafür zu haben, welch hohes Sicherheitsrisiko die Klimakatastrophe darstellt. So bezeichnete der ehemalige US-Verteidigungsminister Chuck Hagel bereits im Jahr 2014 die Klimakatastrophe als „‚Bedrohungsmultiplikator‘ […], weil er das Potenzial hat, viele der Herausforderungen, mit denen wir bereits heute konfrontiert sind – von Infektionskrankheiten bis hin zu bewaffneten Aufständen – zu verschärfen …“4
Inzwischen kann diese Aussage jeder einigermaßen aufmerksame Zeitungleser nachvollziehen. Der Konflikt im Südsudan galt vielen als der „erste Klimakrieg“, und der grausame Bürgerkrieg in Syrien begann bekanntermaßen im Jahr 2011 mit zunächst friedlichen Protesten angesichts einer klimabedingten Dürre. Michael T. Klare, der weltweit renommierteste Analytiker des US-Militärs, verweist auf das erhebliche Risiko bevorstehender Kriege um die Ressource Wasser (etwa zwischen den Anrainern des Flusses Brahmaputra, unter anderem Indien und China), auf die Klimakatastrophe als Fluchtursache und auf die Gefahr, dass im Zuge von massiven Umweltkatastrophen vermehrt „ungoverned spaces“, Regionen außerhalb jeder Regierungskontrolle, entstehen könnten, die ebenfalls ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. Ebenso macht er aber darauf aufmerksam, dass im Pentagon hochrangige Militärs die Aufgabe der Landesverteidigung angesichts der zu erwartenden Katastrophenszenarien für zunehmend unmöglich erachten.5
Für einiges Aufsehen sorgte der bereits im Jahr 2004 veröffentlichte Yoda-Report, der die damalige Bush-Regierung (die den Klimawandel in Abrede stellte) in Verlegenheit brachte. Diese von Andrew Marshall (Spitzname „Yoda“ aufgrund seiner Beteiligung am Star-Wars-Programm) und Peter Schwarz für den Pentagon erstellte Studie bezeichnet die Klimakrise als größte Bedrohung der Sicherheit und entwirft ein apokalyptisch anmutendes Szenario, das aus heutiger Sicht als nur allzu realistisch erscheint. Unter dem Druck zusammenbrechender Nahrungsketten könnten, so die Studie, Länder mit labilen Regierungen wie Pakistan oder Russland versucht sein, im Kampf um Nahrung und Rohstoffe ihre Nuklearwaffen einzusetzen. Die Welt könnte innerhalb weniger Dekaden in Anarchie versinken.6
Eine konsequente, radikale Klimapolitik ist angesichts solcher Szenarien die beste Friedenpolitik. Umgekehrt gilt aber auch: Die große Gefahr, dass Klimaveränderungen zu bewaffneten Konflikten bis hin zur nuklearen Eskalation führen können, macht präventive Abrüstung zum Gebot der Stunde.
Der Kampf um schwindende Ressourcen
Wir befinden uns in einer Zangengriffkrise: Zur abnehmenden Tragfähigkeit unserer Ökosysteme und zur kaum mehr aufzuhaltenden Erderwärmung gesellt sich der rapide Schwund nicht erneuerbarer Ressourcen, allen voran fossiler Energien. Diese Ressourcenklemme behindert gleichzeitig den Ausbau einer Infrastruktur erneuerbarer Energien, der ja seinerseits zunächst auf einen erheblichen Energie-Input angewiesen ist. Wiederum sind es Militärs, die das große Sicherheitsrisiko erkannt haben, wenn wir, anstatt den industriellen Rückbau gezielt einzuleiten und solidarisch zu gestalten, den wahrscheinlichen Zusammenbruch der Ökonomie in Kauf nehmen. So heißt es etwa in einer sicherheitspolitischen Studie der Bundeswehr aus dem Jahr 2010:
„Der Peak Oil kann dramatische Konsequenzen für die Weltwirtschaft haben. Das Ausmaß dieser Konsequenzen wird sich – nicht nur, aber eben auch – durch einen Rückgang des Wachstums der Weltwirtschaft messen lassen. […] Ein ökonomischer Tipping Point besteht dort, wo – zum Beispiel infolge des Peaks – die Weltwirtschaft auf unbestimmte Zeit schrumpft. In diesem Fall wäre eine Kettenreaktion die Folge, die das Wirtschaftssystem destabilisiert. […] Mittelfristig bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen […] Eine auf unbestimmte Zeit schrumpfende Wirtschaftsleistung stellt einen höchst instabilen Zustand dar, der unumgänglich in einem Systemkollaps endet. Die Sicherheitsrisiken einer solchen Entwicklung sind nicht abzuschätzen …7
Die Konkurrenz um die schwindenden fossilen Ressourcen ist spätestens seit Beginn unseres Jahrhunderts eine treibende Kraft der Geopolitik. Der nach dem damaligen US-Vizepräsidenten so genannte Cheney-Report vom Mai 20018 dokumentiert, dass der Zugang zu den weltweiten Ölquellen ein integraler Bestandteil der US-Militärstrategie und Außenpolitik ist. Dabei wird das Streben nach Versorgungssicherheit immer konfliktträchtiger. Die Interessen der Großverbraucher (EU, China, Indien, Japan, USA) treffen vor allem in Zentralasien und am kaspischen Meer zusammen. Für die EU und insbesondere Deutschland sind überdies die russischen Gasreserven von Bedeutung, die allerdings ihr Fördermaximum bereits überschritten haben dürften.
Auch die NATO hat spätestens mit ihrer neuen Doktrin anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens ihr Verständnis von „Verteidigung“ im konventionellen Sinn hintangestellt und sich zu einem Instrument der militärischen Durchsetzung ökonomischer Interessen, näherhin der Sicherung von Handelswegen und des Zugangs zu Rohstoffen, entwickelt. Insbesondere die USA drängten auf die strategische Orientierung auf mögliche Krisen in der Golfregion und in der Straße von Taiwan. Mit der Selbstmandatierung der NATO für Einsätze außerhalb ihres Bündnisgebietes hat sich das Bündnis von völkerrechtlichen Vorgaben verabschiedet.9 Die Orientierung hin auf die militärische Absicherung ökonomischer, Handels- und Rohstoffinteressen wurde seither regelmäßig in den „Strategischen Konzepten“ bis hin zum jüngsten aus dem Jahr 2010 bestätigt: Darin heißt es etwa: „Alle Länder sind zunehmend auf die lebenswichtigen Kommunikations-, Transport- und Transitwege angewiesen, auf die sich der Welthandel, die Energiesicherheit und der Wohlstand stützen. […]
Einige NATO-Staaten werden, was ihren Energiebedarf angeht, immer stärker von ausländischen Energieversorgern und in einigen Fällen von ausländischen Energieversorgungs- und Verteilernetzen abhängig. Da ein immer größerer Teil des weltweiten Verbrauchs rund um den Globus transportiert wird, ist die Energieversorgung immer störungsanfälliger.“ Deshalb, so die Konsequenz, müsse die NATO „die Fähigkeit entwickeln, zur Energiesicherheit beizutragen, auch durch den Schutz kritischer Energieinfrastruktur und von Transitgebieten und -routen“.10 Es sei daran erinnert, dass sich seinerzeit Bundespräsident Horst Köhler aufgrund heftiger öffentlicher Kritik zum Rücktritt veranlasst sah: Er hatte schlicht das ausgesprochen und als „selbstverständlich“ affirmiert, was jeder nachlesen konnte: dass sich die NATO als militärisches Bündnis der Sicherung der Grundlagen unseres „Wohlstands“ versteht.
Auch die EU bereitet sich seit Langem schon auf Kriege um Ressourcen vor. Bereits im Jahr 2004 hat das ISS (Institute for Security Studies) im Auftrag des EU-Rates ein Strategiepapier, das European Defense Paper, vorgelegt, das konkrete militärische Planspiele zur Rohstoffsicherung enthält. Der „Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen“ wird darin als ein „vitales Interesse“ der EU und als eines der wichtigsten Ziele von Militärinterventionen definiert. Die EU, so die Verfasser des Papiers, müsse „Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen“ führen. „Humanitäre Interventionen“ seien auf bis zu 5000 km um die Hauptstadt Brüssel zu beschränken. Allerdings: Innerhalb dieses Radius befinden sich sämtliche Ölstaaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie die Öl- und Gasfelder am Kaspischen Meer.11
Bestätigt wurde dieser Kurs in jüngerer Zeit auf einer Konferenz des ISS zusammen mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) im Dezember 2021. Der Klimawandel wurde hier unter anderem unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zu Ressourcen debattiert. Bereits 2019 erörterten die EU-Verteidigungsminister den „geostrategischen Wettbewerb um Ressourcen und Seewege“ in einer künftig vom Eis befreiten Arktis.12
Ein neuer (Öko-)Imperialismus?
Der schwierige Transformationsprozess hin zu einer Ökonomie auf der Basis erneuerbarer Energien verschärft allerdings die Kriegsgefahr aufgrund der Konkurrenz um Rohstoffe erheblich. Die Umstellung auf CO2-freie Verfahren und der Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht zuletzt mit einem Bedarf an knappen Rohstoffen verbunden: Neodym (für die Generatoren von Windrädern), Grafit, Kobalt und Lithium für Batterien … Bereits jetzt spielt das Militär in vielen Regionen der Welt eine wichtige Rolle zur Absicherung von Bergbau- und anderen Infrastrukturprojekten, wenn diese auf den Widerstand der lokalen Bevölkerung stoßen. Gerade der Rohstoffbedarf für eine dekarbonisierte Ökonomie könnte diese Tendenz noch verstärken, wenn etwa die Lithium-Gewinnung lokal zu akutem Wassermangel führt. Es eröffnet sich damit aber auch ein neues Feld der Konkurrenz der Großverbraucher. Dass China sich einen großen Teil der Lizenzen für den sehr knappen, aber künftig essenziellen Rohstoff Lithium gesichert hat, ist inzwischen bekannt.
„Grüner Wasserstoff“ könnte in naher Zukunft ein zentrales internationales Konfliktfeld eröffnen. Will man die Ökonomie der reichen Industrieländer auf gegebenem Niveau dekarbonisieren, so sind dafür riesige Mengen von grünem, also mittels Elektrolyse aus Wasser erzeugtem Wasserstoff und hierfür wiederum entsprechende Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen erforderlich. Die Umstellung etwa der deutschen Stahlproduktion, das heißt die Ersetzung des Reduktionsmittels Koks durch Wasserstoff, würde einen Mehrbedarf von 130 TWh bedingen, die Umstellung der Chemieindustrie würde 685 TWh zusätzlichen Strom erfordern, also deutlich mehr als die gesamte heutige Stromproduktion …13 Sowohl die EU-Wasserstoffstrategie als auch die entsprechende deutsche sehen deshalb Importe in großen Mengen vor. Neben Saudiarabien, Russland, der Ukraine, Chile, Island und Australien spielen hierfür vor allem Marokko sowie ganz Westafrika aufgrund seiner großen Potenziale von Sonne- und Windenergie eine große Rolle.
Das inzwischen gescheiterte Desertec-Projekt in der Sahara, ein Parabolrinnenkraftwerk, das mit einem kaum vorstellbaren Materialinput lediglich 15 % des Strombedarfs der EU decken sollte, lässt erahnen, dass die entsprechenden Potenziale wahrscheinlich deutlich überschätzt werden. Dazu kommt, dass der Effizienzgrad je nach Nutzung sehr niedrig ist. Von der ursprünglich eingesetzten Energie bleiben nach Verflüssigung, Transport und den Umwandlungsprozessen in Elektrizität und zum Beispiel in kinetische Energie weniger als 20 % des ursprünglichen Energieinputs übrig.14
Vor allem aber braucht man für die Erzeugung von grünem Wasserstoff nicht nur entsprechend viel Energie aus erneuerbaren Quellen, sondern große Mengen an Süßwasser (die Entsalzung von Meerwasser würde ja die Energiebilanz zusätzlich verschlechtern), das gerade in den afrikanischen Ländern, die über viel Sonne und Wind verfügen, ein sehr knappes Gut ist! Marokko und die westafrikanischen Gebiete südlich der Sahara leiden unter einer mehr als dreißig Jahre anhaltenden Trockenperiode. Wasser ist vor allem in Form einer fossilen Ressource als Grundwasser verfügbar. Die entsprechende Nutzung für die Wasserstofferzeugung steht in direkter Konkurrenz zum Wasserbedarf für Landwirtschaft und Begrünung.
Die Ressourcen, auf die die Verbraucher hier zugreifen wollen, um ihr Niveau an Industrialisierung aufrechtzuerhalten, sind also so knapp, dass harte Konkurrenzkämpfe zu befürchten sind, die in kriegerische Auseinandersetzungen münden könnten. Der starke Einfluss Chinas auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch die Verwurzelung Frankreichs in Westafrika aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit bergen ein erhebliches Konfliktpotenzial.
Soziale Verteidigung als Alternative
Das Völkerrecht anerkennt das Recht auf militärische Verteidigung bei einem Angriffskrieg. Jenseits dieser juristischen Ebene aber ist die Frage nach Rationalität und ethischer Verantwortbarkeit einer solchen militärischen Verteidigung zu stellen. Angesichts des heutigen Potenzials an Destruktivkraft auch bereits unterhalb der Schwelle von Massenvernichtungswaffen und der zu erwartenden Opfer an Menschenleben und angesichts der Gefahr einer atomaren Eskalation ist auch militärische „Verteidigung“ keine sinnvolle und verantwortbare Option mehr.
Die Alternative ist aber keineswegs Wehrlosigkeit. Die Friedensforschung hat bereits in den Fünfzigerjahren das Konzept der Sozialen Verteidigung entwickelt. Es geht davon aus, dass ein Aggressor nicht einfach ein Territorium besetzen will, sondern danach vor allem die Bevölkerung eines Landes kontrollieren muss. Genau hier eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten der Nichtkooperation mit dem Aggressor, der Verweigerung, des zivilen Ungehorsams, von Generalstreiks, etc., die letztlich die gewaltsame Besetzung eines Landes für den Aggressor unattraktiv machen. Es gibt zahlreiche historische Beispiele für den Erfolg dieser gewaltfreien Strategie. Natürlich ist sie mit keiner Erfolgsgarantie verbunden, aber das ist die hoch riskante militärische „Verteidigung“ schließlich auch nicht. Angesichts des hohen Blutzolls und angesichts der Gefahr einer atomaren Vernichtung erweist sich jede militärische Antwort als „ultima irratio“.
Wer sich in die militärische Logik hineinbegibt, kommt letztlich in ihr um. Wer auf dem Recht auf militärische Vereidigung beharrt, wird konsequenterweise auch weitere Aufrüstung akzeptieren müssen. Die einzig legitime militärische Intervention ist heute die militärische Sicherung von Fluchtkorridoren bei einem drohenden Genozid durch direkt der UNO unterstellte Truppen (also nicht wie bisher durch nationale Kontingente). Auch wer für eine militärische Antwort auf einen Aggressor plädiert, affirmiert damit letztlich das Recht des Stärkeren. Die Menschheit ist um ihres Überlebens willen darauf angewiesen, diese Logik hinter sich zu lassen.15
Unmittelbare politische Konsequenzen
►Voraussetzung für die Friedenssicherung ist eine konsequente Klimapolitik, die vor allem auf Suffizienz setzt und die den unausweichlichen industriellen Rückbau solidarisch und geplant gestaltet, anstatt einen Zusammenbruch der Ökonomie zu riskieren.
►Vor allem mit Ländern, die zu einem großen Teil vom Export fossiler Energien abhängig sind, sind – bilateral oder im Rahmen internationaler Vereinbarungen – Energiepartnerschaften auszuhandeln, die eine planvolle Reduktion und eine Umstellung auf erneuerbare Energien ermöglichen und damit Instabilitäten vorbeugen.
►Die Bundesrepublik muss die NATO, deren Zweck es nach eigenem ausdrücklichen Selbstverständnis ist, geopolitische Interessen militärisch durchzusetzen, verlassen und außenpolitisch auf deren Auflösung und Ersetzung durch andere kollektive Sicherheitssysteme hinwirken.
►Die Rüstungsproduktion ist vollständig einzustellen. Es ist an Absurdität kaum zu überbieten, sich mit einem erheblichen Ressourcenaufwand auf Kriege um knapper werdende Ressourcen vorzubereiten. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, durch ein ausnahmsloses Exportverbot und die Einstellung der eigenen Beschaffung die Rüstungsproduktion zu beenden. Nach Möglichkeit sind Konversionskonzepte zu erarbeiten.
►Anzustreben ist eine Bundesrepublik ohne Armee, da im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen militärische Verteidigung keine sinnvolle und verantwortbare Option mehr ist. Die frei werdenden menschlichen, technischen, materiellen und finanziellen Ressourcen werden dringend benötigt, um die ökologische Krise und deren Folgen zu bewältigen.
►Für die Erreichung dieser Ziele ist ein Zusammenschluss des pazifistischen Teils der Friedensbewegung mit dem radikalisierten, nicht bloß auf technische Lösungen fixierten Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung nötig. Möglichst zu gewinnen sind progressive Teile der Zivilgesellschaft, progressive Teile von Kirchen und ArbeitnehmerInnenorganisationen, etc.
Fußnoten
1 Andres, Jaqueline, Krieg und Klima. IMI-Analyse 2020/34: www.imi-online.de/2020/07/21/krieg-und-klima/
2 https://umwelt-militaer.org/militaer-klimawandel-cop26/ (aufgerufen am 7. 4. 2022).
3 Vgl. dazu Anm. 1.
4 Anm. 2.
5 How the Pentagon Thinks About the Climate Crisis. Professor and author Michael T. Klare explores how the U.S. Military is preparing for climate change in his new book „All Hell Breaking Loose“, in: Rolling Stone, September 2019: www.rollingstone.com/politics/politics-features/how-the-pentagon-thinks-about-the-climate-crisis-887832/ (aufgerufen am 7. 4. 2022).
6 Spiegel online, 22. Februar 2004: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,287518,00.html
7 Zentrum für Transformation der Bundeswehr, Peak Oil – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen, Hamburg 210, 47–50.
8 Vgl. dazu vor allem Zumach, Andreas, Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?, Köln 22005, 100–113.
9 Andreas Buro, Die NATO – ein Instrument zur Absicherung wirtschaftlicher Expansion: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/die-nato-ein-instrument-zur-absicherung?fbclid=IwAR02USvV8qiBnG7nF7avuPrCsOgYYHn1zWaOvnxkshUbhft2Lw_vAmTv3cQ#block-nodeblock-16956 (aufgerufen am 7. 4. 2022).
10 www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO/strat/strat-konzept-2010.html (aufgerufen am 7. 7. 2022).
11 Zumach, Die kommenden Kriege, aaO., 132–138.
12 www.german-foreign-policy.com/news/detail/8818/ (aufgerufen am 7. 4. 2022).
13 Roadmap Chemie 2050. Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland. Eine Studie von DECHEMA und FutureCamp für den VCI, September 2019.
14 Vgl. dazu Bruno Kern, Das Märchen vom grünen Wachstum. Plädoyer für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft, Zürich 22020, 75. 81.
15 Mit anderen Waffen. Die Pazifistin Christine Schweitzer ruft die Ukraine zu sozialer statt militärischer Verteidigung auf. Warum dies weder naiv noch ignorant ist: www.nd-aktuell.de/artikel/1162475.gewaltfreier-widerstand-im-ukraine-krieg-mit-anderen-waffen.html?fbclid=IwAR3RdjpHjU6I3ApVERy564v2YSGP2tCsdBbrzAVWOmjdPXw41iFGPaAfeow (aufgerufen am 7. 4. 2022).