Klimaschutz und Aufrüstung: Ergebnisse der COP29
„Eine Beleidigung“
COP29: Globaler Süden übt wütende Kritik an Weigerung der Industriestaaten, nötige klimapolitische Maßnahmen in Entwicklungsländern zu finanzieren. Berlin konterkariert mit der Weigerung sein Streben nach mehr Einfluss im Süden.
Quelle: German Foreign Policy (25.11.24)
Die Länder des Globalen Südens üben heftige Kritik an der Weigerung der westlichen Staaten, darunter Deutschlands und der EU, die nötigen Mittel zum Kampf gegen Klimawandel und Klimaschäden bereitzustellen. Auf Druck der westlichen Industriestaaten hat die UN-Klimakonferenz in Baku (COP29) beschlossen, die Mittel, die aus dem wohlhabenden Norden in die Entwicklungsländer fließen sollen, um dort klimapolitische Maßnahmen zu finanzieren, auf 300 Milliarden US-Dollar im Jahr zu begrenzen. Der Globale Süden fordert die Mittel ein, da der Wohlstand der Industriestaaten auf einem jahrhundertelangen gewaltigen CO2-Ausstoß gründet, während die Entwicklungsländer unter dessen Folgen am stärksten leiden. Experten halten eine Steigerung auf 1,3 Billionen Euro im Jahr für erforderlich. Unterhändler etwa Indiens oder Nigerias nannten die Beschränkung auf 300 Milliarden Euro wütend „dürftig“ bzw. einen „Witz“. Um die Wut abzulenken, griff Außenministerin Annalena Baerbock die Erdöl- und Erdgasförderer an, darunter COP29-Gastgeber Aserbaidschan. Aserbaidschan steigert die Erdgasförderung, weil die EU ihre Importe von dort ausweiten will, um Russland zu boykottieren.
Inhalt
Kredite statt Zuschüssen
Bereits die unzulängliche Umsetzung des Beschlusses der UN-Klimakonferenz im Jahr 2009 in Kopenhagen (COP15), die reichen Industriestaaten sollten den Entwicklungsländern ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an Klimaschäden zur Verfügung stellen, ist von Experten immer wieder scharf kritisiert worden. Zum einen wiesen Beobachter darauf hin, dass die 100-Milliarden-Schwelle erst 2022 erreicht wurde, also mit zweijähriger Verspätung. Zum anderen zeigte eine Analyse der Entwicklungsorganisation Oxfam, dass etwa 70 Prozent der Mittel, die die wohlhabenden Staaten aus ihren Haushalten abzweigten, keine Zuschüsse, sondern lediglich Kredite waren, in manchen Fällen sogar Kredite nicht einmal zu vergünstigten Bedingungen, sondern zu marktüblichen Zinsen. Oxfam bezifferte die tatsächlich gezahlten Zuschüsse im Jahr 2022 auf allenfalls 28 bis 35 Milliarden US-Dollar.[1] Dies wiege auch deshalb schwer, weil das Geld ja eigentlich als Ausgleich dafür gedacht sei, dass die Industriestaaten ihren Wohlstand mit einem massiven CO2-Ausstoß erzielt hatten, während die Entwicklungsländer nun unter den Folgen des CO2-Ausstoßes am meisten litten, urteilt Oxfam: Dass die Entwicklungsländer die Kredite zurückzahlten, also einen Großteil der Kosten für den Ausgleich selbst trügen, „widerspricht allen Prinzipien der Gerechtigkeit“.[2]
„Völlig unrealistisch“
Dabei ist längst klar, dass die Summe von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr bei weitem nicht ausreicht, um den Kampf gegen den Klimawandel und Vorkehrungen gegen die bereits jetzt nicht mehr abwendbaren Klimaschäden im Globalen Süden voranzutreiben. Unabhängige Experten gehen davon aus, dass dazu mindestens eine, am besten jedoch sogar 1,3 Billionen US-Dollar jährlich aufgebracht werden müssen.[3] Die UN-Klimakonferenz in Baku beschloss nun, dass die Zahlungen der Industriestaaten an die Entwicklungsländer bis 2035 auf 300 Milliarden US-Dollar aufgestockt werden; die 1,3 Billionen werden nur als völlig unverbindliche Zielgröße genannt, und auch dies nur unter Einschluss allerlei privater und multinationaler Geldgeber. Die Bundesregierung hatte zuletzt 6 Milliarden Euro im Jahr für Klimaausgaben im Globalen Süden reserviert, ließ sich in Baku aber mit der Äußerung zitieren, es sei „völlig unrealistisch, dass Geld in Billionenhöhe aus den Haushalten“ der westlichen Industriestaaten komme.[4]
Geld ist vorhanden
Damit setzt Berlin klare Prioritäten. So hat die Bundesregierung allein bis Ende August laut Angaben des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) 15,9 Milliarden Euro Kriegsunterstützung an die Ukraine gezahlt; im selben Zeitraum kamen 43,8 Milliarden Euro aus den Töpfen der EU hinzu. Der weit überwiegende Teil der Mittel wurde nach April 2022 ausgegeben, also nach dem Zeitpunkt, zu dem auf Basis der Vereinbarungen von Istanbul ein Waffenstillstand möglich gewesen wäre – zu erheblich besseren Bedingungen als diejenigen, auf die Kiew aktuell hoffen kann.[5] Darüber hinaus ist eine massive Aufstockung des Bundeswehretats in Planung. Verteidigungsminister Boris Pistorius dringt auf einen Betrag in Höhe von bis zu 3,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts; aktuell wären dies mehr als 140 Milliarden Euro.[6] Pistorius ist demnach der Auffassung, es ließen sich aus Haushaltsmitteln 85 bis 90 Milliarden Euro jährlich für die Aufrüstung locker machen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat schon im Juni erklärt, die Union benötige im nächsten Jahrzehnt 500 Milliarden Euro, um die Beschaffung neuer Rüstungsgüter zu bezahlen.[7] Geld für die deutsch-europäische Militär- und Großmachtpolitik wird demnach im großen Stil verplant.
„Extrem enttäuscht“
Dass Berlin und Brüssel – ganz im Gegensatz dazu – nicht bereit sind, höhere Summen für die dringenden klimapolitischen Belange des Globalen Südens auszugeben, läuft freilich den außenpolitischen Zielen der Bundesregierung indirekt zuwider. Diese umfassen die Absicht, den eigenen Einfluss im Globalen Süden wieder zu stärken – und zwar vor allem, seit sich gezeigt hat, dass der Süden dem Westen bei dessen Russland-Sanktionen und der Aufrüstung der Ukraine bis auf wenige Ausnahmen nicht folgt. Der Westen ist damit also global isoliert. Allerdings kommt die Tatsache, dass Berlin und Brüssel zwar weltweit einen entschlossenen Einsatz für das Klima fordern, aber nicht bereit sind, die erforderlichen Gelder zu zahlen, im Süden nicht gut an.[8] „Wir sind extrem enttäuscht über den Mangel an Fortschritt bei den für Afrika wichtigen Themen“, konstatierte in Baku etwa der Kenianer Ali Mohamed, der als Chefunterhändler für die afrikanischen Staaten auftrat.[9] Die Repräsentantin Nigerias nannte die Beschränkung der Unterstützung auf 300 Milliarden US-Dollar unter Beifall einen „Witz“ und eine „Beleidigung“. Indiens Unterhändlerin Chandni Raina nannte den Betrag „dürftig“ bzw. „abgründig klein“ und lehnte die Festlegung der Summe entschieden ab.[10]
„Die alte fossile Welt“
Außenministerin Annalena Baerbock war bemüht, die Wut über die Zahlungsverweigerung der Industriestaaten – auch Deutschlands sowie der EU – auf diejenigen Länder abzulenken, die im großen Stil Erdöl und Erdgas fördern, darunter der COP29-Gastgeber Aserbaidschan. „Wir Europäer werden nicht zulassen“, erklärte Baerbock, sich als Kämpferin für den Globalen Süden inszenierend, „dass die verletzlichsten Staaten auf der Welt, insbesondere die kleinen Inselstaaten“, von einigen der Erdöl- und Erdgasstaaten „jetzt hier über den Tisch gezogen werden“ – „und das im Zweifel auch noch mit Rückendeckung der COP-Präsidentschaft“, also Aserbaidschan.[11] Dass Aserbaidschan seine Erdgasproduktion zu steigern sucht, weil die EU und ihre Mitgliedsländer mit Baku eine deutliche Ausweitung der Erdgaslieferungen vereinbart haben [12], um ihrerseits russisches Erdgas boykottieren zu können, ließ Baerbock unerwähnt. „Ich bin mir sicher“, bekräftigte sie: „Was wir hier sehen, ist ein letztes Aufbäumen der alten fossilen Welt.“ Ob damit die Lieferanten oder aber die Käufer fossiler Energieträger – etwa von Erdgas aus Aserbaidschan – gemeint waren, kommentierte die deutsche Außenministerin ebenfalls nicht.
Fußnoten
[1], [2] Leila van Rinsum: Beitrag schöngerechnet. taz.de 09.07.2024.
[3] Max Bearak: Climate Talks End With a Bitter Fight and a Deal on Money. nytimes.com 23.11.2024.
[4] Klimagipfel einigt sich auf 300 Milliarden für ärmere Länder. n-tv.de 23.11.2024.
[5] S. dazu Kein Wille zum Waffenstillstand.
[6] S. dazu „Groß denken und groß machen“.
[7] Aurélie Pugnet: EU’s von der Leyen assesses bloc’s defence needs to €500 billion. euractiv.com 27.06.2024.
[8] S. auch Koloniale Denkschablonen.
[9] „Nicht nur ein Scheitern, sondern Betrug”. tagesschau.de 24.11.2024.
[10] India Denounces Baku Climate Finance Deal, Says Concerns Ignored. barrons.com 23.11.2024.
[11] Baerbock wirft fossilen Staaten Machtspiel vor. tagesschau.de 23.11.2024.
[12] Gabriel Gavin: Europe’s Azerbaijan gas gambit is good news for Russia. politico.eu 20.11.2024.