Langzeitfolgen von Atomwaffenexplosionen
Die verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit
von Victoria Kropp
zuerst veröffentlicht: https://www.imi-online.de/2024/12/03/langzeitfolgen-von-atomwaffenexplosionen/
Inhalt
Einleitung
In der politischen und militärischen Rhetorik des 21. Jahrhunderts wird oft von „begrenzten taktischen Atomwaffeneinsätzen“ gesprochen, um den Einsatz von Atomwaffen in spezifischen kontrollierten Szenarien zu rechtfertigen. Doch die Realität dieser vermeintlich „begrenzten“ Einsätze ist weit komplizierter und dunkler als es die theoretischen Annahmen vermuten lassen.
Atomwaffenexplosionen hinterlassen Spuren, die weit über den unmittelbaren Zerstörungsradius hinausgehen. Die Langzeitfolgen für die Umwelt und Gesundheit sind gravierend und erstrecken sich über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Selbst sogenannte begrenzte taktische Einsätze haben katastrophale Auswirkungen, die weit über die ursprüngliche Zielregion hinausreichen.
Ein Blick zurück auf die Atomwaffentests auf den Marshallinseln, die Mitte des 20. Jahrhunderts durchgeführt wurden, offenbart auf eindringliche Weise die Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und den tatsächlichen Langzeitfolgen solcher Waffen. Die USA führten zwischen 1946 und 1958 insgesamt 67 Tests durch. Die Tests hinterließen tiefgreifende und langanhaltende Spuren, die die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung bis heute beeinträchtigen.
Umweltzerstörung und unbewohnbare Gegenden
Die Atomwaffentests, insbesondere die Operation Crossroads und der Castle Bravo-Test, führten zu enormen Umweltzerstörungen. Der Castle Bravo-Test von 1954 war der größte jemals von den USA durchgeführte Atomtest und verursachte eine Explosion, die etwa 1000-mal stärker war als die Hiroshima-Bombe. Dieser Test führte zu schwerer radioaktiver Kontamination auf den benachbarten Atollen.[1]
Einige Inseln, wie das Bikini-Atoll, wurden so stark kontaminiert, dass sie bis heute unbewohnbar sind. Trotz mehrfacher Versuche, das Gebiet zu dekontaminieren, bleibt die Strahlenbelastung hoch und stellt eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit dar. Die Bewohner*innen des Bikini-Atolls mussten zwangsumgesiedelt werden und leben seitdem in dauerhafter Exilierung, ohne Aussicht auf eine Rückkehr.[2]
Dauerhafte klimatische Auswirkungen aufgrund von Atomwaffenexplosionen sind zwar noch nicht eingetreten, es gilt aber als sicher, dass ein großflächiger Atomkrieg genug Ruß und Staub in die Atmosphäre schleudern kann, um das Sonnenlicht zu blockieren und einen sogenannten nuklearen Winter zu verursachen. Dieser kann die globale Temperatur senken und zum Beispiel landwirtschaftliche Erträge drastisch reduzieren.[3]
Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt
Die atomaren Tests haben auch die lokale Flora und Fauna schwer geschädigt. Viele Pflanzenarten auf den Marshallinseln sind durch die radioaktive Kontamination dezimiert worden. Die Böden sind radioaktiv verseucht, was den Anbau von Nahrungsmitteln erschwert und die Ernährungssicherheit der Bewohner gefährdet.
Fische und andere Meerestiere sind radioaktiv kontaminiert, was nicht nur die lokale Fischerei beeinträchtigt, sondern auch gesundheitliche Risiken für die Menschen darstellt, die diese Tiere konsumieren. Studien haben gezeigt, dass die radioaktive Belastung in den betroffenen Meeresregionen weiterhin hoch ist.[4]
Eine eigene Landwirtschaft und Fischerei, von denen die Bewohner*innen der Marshallinseln leben können, ist nicht mehr möglich. Sie sind auf Importe von Lebensmitteln aus den USA angewiesen. Allerdings sind das in der Regel keine frischen, unverarbeiteten Lebensmittel, sondern Produkte aus Konservendosen. Für die Bewohner*innen ist es deshalb nicht möglich, traditionelles heimisches Essen zu sich zu nehmen. Aufgrund der verarbeiteten Lebensmittel in den Dosen leiden viele Bewohner auch unter Fettleibigkeit, Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen. Es ist nicht abzusehen, ob und wann wieder eine Selbstversorgung durch lokale Landwirtschaft und Fischerei möglich sein wird.[5]
Auf der Insel Runit des Eniwetok-Atolls lagern ca. 87.000 Kubikmeter radioaktiver Müll in einem Bunker, dem sogenannten Runit Dome. Nach dem Atomwaffentest Hardtack Cactus entstand ein Krater auf der Insel Runit. In diesen Krater wurde der Atommüll geschüttet und mit Zement abgedeckt. Eine Studie von 2012 zeigte, dass radioaktives Material austritt und sich mit dem Grundwasser vermischt.[6]
Gesundheitliche Auswirkungen auf die Bevölkerung
Die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bewohner*innen der Marshallinseln sind schwerwiegend. Die Strahlenexposition führte zu einem dramatischen Anstieg von Krebserkrankungen, darunter Schilddrüsen-, Lungen- und Brustkrebs. Auch Geburtsfehler und genetische Schäden sind weit verbreitet.
Ein tragischer Fall ist die Bevölkerung des Rongelap-Atolls, die direkt vom Fallout des Castle Bravo-Tests betroffen war. Die Bewohner erlitten akute Strahlenkrankheit und später eine Vielzahl von gesundheitlichen Problemen, einschließlich Krebs und genetischen Anomalien. Die langfristigen Folgen sind nach wie vor eine große Belastung und viele Betroffene kämpfen immer noch um Anerkennung ihrer Krankheiten und Entschädigung.[7]
Psychische Auswirkungen
Überlebende von Atomwaffenexplosionen leiden oft unter schweren psychischen Traumata, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), Angstzuständen und Depressionen. Überlebende und ihre Nachkommen werden oft stigmatisiert und sozial ausgegrenzt, was zu zusätzlichen psychischen und sozialen Problemen führt.[8]
Sozioökonomische und kulturelle Folgen
Neben den physischen, gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen haben die Atomwaffentests tiefgreifende sozioökonomische und kulturelle Folgen für die Marshallinseln. Durch die Zwangsumsiedlungen wurden indigene Gemeinschaften entwurzelt und die Bewohner*innen verloren ihre Heimat und kulturelle Identität. Die erzwungenen Umsiedlungen zerstörten nicht nur soziale Strukturen der Gemeinschaften, sondern auch jahrhundertealte Traditionen und Kulturen. Denn der Besitz von Wohnhaus, landwirtschaftlichen Flächen und Fischgründen wird bei den Marshallesen vererbt. Er ist ein Zeichen der eigenen Identität und regelt die sozialen Beziehungen untereinander. Mit der Umsiedlung auf andere Gebiete gingen ihnen diese Orientierungen verloren: „Land bedeutet für die Marshallesen sehr viel. Es ist mehr als nur ein Ort, an dem man Nahrungsmittel anbauen und Häuser bauen kann, oder ein Ort, an dem man seine Toten begraben kann. Es ist das eigentliche Leben der Menschen. Nimmt man ihnen ihr Land weg, verschwinden auch ihre Seelen.“[9]
Viele der umgesiedelten Bewohner leben in Armut und kämpfen mit den wirtschaftlichen Folgen der Vertreibung. Die Entschädigungszahlungen der US-Regierung sind unzureichend, um die entstandenen Schäden und Verluste auszugleichen. Historisch und kulturell bedeutende Orte sind zerstört oder unzugänglich. Der Verlust des kulturellen Erbes lässt sich voraussichtlich nie wiederherstellen.[10]
Die Illusion der Begrenztheit von Atomwaffen
Die atomaren Experimente, die die USA auf den Marshallinseln durchführten, sind nicht nur ein Kapitel der nuklearen Geschichte, sondern auch ein mahnendes Beispiel für die unkontrollierbaren Auswirkungen von Atomwaffen. Die Auswirkungen waren größer als von den US-Forschern vorhergesehen und kalkuliert. Während der größere Radius und die stärkeren Auswirkungen als technologischer Erfolg gefeiert wurden, verdeutlichen sie, dass sich die Folgen wie Umweltzerstörung, Kontamination und gesundheitliche Schäden nicht auf ein vorher definiertes Gebiet begrenzen lassen.
Die Idee, dass taktische Atomwaffeneinsätze auf ein begrenztes geografisches Gebiet beschränkt und kontrollierbar sind, ist weitgehend eine politisch motivierte Konstruktion. Die physikalischen und ökologischen Eigenschaften von Atomwaffen machen es nahezu unmöglich, ihre Auswirkungen präzise zu kontrollieren. Die Risiken einer Eskalation und die langfristigen Schäden für Mensch und Umwelt sind so gravierend, dass die Vorstellung eines „begrenzten“ Einsatzes irreführend und gefährlich ist. In der Realität dienen solche Begriffe nur dazu, die Akzeptanz für Atomwaffen zu erhöhen und deren Einsatzmöglichkeiten zu legitimieren. Während die politische Diskussion oft die Möglichkeit eines „gezielten“ und „kontrollierten“ Einsatzes von Atomwaffen propagiert, zeigen die bitteren Erfahrungen der Marshallinseln, dass jede Form von Atomwaffeneinsatz tiefgreifende und unvorhersehbare Konsequenzen für Mensch und Umwelt hat.
Anmerkungen
siehe PDF-Fassung: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck_119_11_Kropp_neu.pdf