Zwei Menschheitsherausforderungen: Klima und Krieg
Einleitungsvortrag zur Tagung „Unsere Sicherheit geht nur gemeinsam. Ukraine, Russland, Europa in einer multiporaren Welt“
von Birgit Mahnkopf
Bremen 28. April 2023
Die „Kooperation für den Frieden“ ist der Dachverband für zur Zeit mehr als 50 friedenspolitische Organisationen in Deutschland. Zusammen mit dem Bremer Friedensforum haben sie vom 28./29. April 2023 in Bremen die 17. Strategiekonferenz organisiert. Die wichtigsten Redner waren: Birgit Mahnkopf (Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik, Berlin) Jeremy Corbyn (ehem. Labour-Vorsitzender, Vizepräsident der Kampagne für nukleare Abrüstung, online zugeschaltet aus London) Joseph Gerson (Präsident der „Campaign for Peace“, online zugeschaltet aus Boston/USA) Jürgen Kurz (Manager und Abteilungsleiter für einen deutschen Mittelständler in China, online zugeschaltet aus Shanghai). |
Die Leitthese meines Vortrags lautet schlicht und erschreckend: DER KRIEG GEGEN DEN PLANETEN GEHT IN SEINE LETZTE RUNDE!
Inhalt
Trotz wiederholter Klimagipfel auf dem Weg zur Heißzeit
Wiederholte „Klimagipfel“ der Staatengemeinschaft waren darauf ausgerichtet, ihn zu beenden, bevor er das Ende unzähliger Leben (von Menschen, Tieren und Pflanzen) auf diesem Platen auslösen wird. Um dieses Ziel auf eine leicht verständliche und vergleichsweise leicht zu messende Größe zu bringen, sollte durch eine Vielzahl von Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass die globale Durchschnittstemperatur bis 2030 auf keinen Fall um mehr als 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigt. Doch dem letzten Bericht des IPCC zufolge wird es in 8 Jahren bei den CO2-Emissionen mit Sicherheit keinen „peak“ geben; sie werden weiter ansteigen. In Europa sind die Durchschnittstemperaturen (laut EU-Erdbeobachtungsprogramm „Copernicus“) in den vergangenen 5 Jahren sogar schon um 2,2°C angestiegen und nichts spricht dafür, dass der fatale Trend zu einer lebensvernichtenden „Heißzeit“ in naher Zukunft gestoppt würde.
Diese Tagung wird sich v.a. mit einem „heißen Krieg“ befassen, nämlich mit den militärischen Auseinandersetzungen, die Russland mit seiner Invasion der Ukraine ausgelöst hat. Vielleicht werden aber auch die anderen derzeit ausgefochtenen heißen Kriege an anderen Orten der Welt zur Sprache kommen. Vermutlich wird aber weniger von den vielen Bürgerkriegen in der sogenannten „Nicht-OECD-Welt“ die Rede sein, die in Europa stets deutlich geringere Aufmerksamkeit finden als militärische Interventionen in den Souveränitätsraum anderer Staaten. Gleichwohl geht es auch in Bürgerkriegen zumeist darum, ökonomische und militärische Macht zu maximieren – etwa durch den privilegierten Zugang zu Ressourcen, durch die Kontrolle systemrelevanter Infrastrukturen, durch kulturelle und politische Machtausübung und nicht zu vergessen, durch die Etablierung von Monopolen und Quasi-Monopolen.
Weil die Arbeitsteilung für diese Einleitungsveranstaltung vorsieht, dass Jeremy Corbyn zu den „realen Kriegen“ als „Menschheitsherausforderung“ sprechen soll und ich zum „Klima“ als eine ebensolche Herausforderung, will ich mich mit knappen Hinweisen auf aktuelle Konflikte konzentrieren, die in der gegenwärtigen Debatte auch als „Kriege“ bezeichnet werden. Gemeinsam ist diesen „Kriegen“ in einem eher metaphorischen Sinn, dass sie den „Krieg gegen den Planeten“ beschleunigen und intensivieren.
„Gaskrieg“ mit Fracking-Gas
Das gilt zuvorderst für den sogenannten „Gaskrieg“, der, wie es heißt, zwischen Russland und der EU ausgetragen wird, in dem aber die US die treibende Kraft und der bislang eindeutige „Gewinner“ sind. Denn das für die EU-Staaten lange Zeit sehr billige russisches Pipeline-Gas wird seit letztem Jahr und auf unabsehbare Zeit nun durch sehr viel teureres und weitaus umweltschädlicheres Fracking-Gas insbesondere aus den USA ersetzt. Das bedingt den Auf- und Ausbau von ressourcenfressenden Infrastrukturen zur Verflüssigung, zum Transport und zur Wiedervergasung von Flüssiggas und bindet große finanzielle Mittel, die eigentlich für den massiven Ausbau von Wind- und Solarstrom benötigt würden.
Doch ist auch ein „Krieg um den Preis des Öls“ zwischen den USA und der OPEC+ im Gange und, damit verbunden, irgendwann womöglich auch ein „Krieg um den Dollar als Öl-Währung“ – wodurch zugleich seine Rolle als Weltwährung erschüttert werden könnte. Förderbeschränkungen, wie sie die OPEC+-Staaten während des Frühjahr 2023 nun schon zwei Mal beschlossen haben, sind für die US-Regierung nur so lange hinnehmbar, wie sie den Ölpreis in einer Höhe halten, der für die US-Wirtschaft verkraftbar ist. Daran ändern auch die riesigen Ölförderungsvorhaben in Alaska und im Golf von Mexiko nichts, die die Biden-Administration im laufenden Jahr bewilligt hat – denn es werden mindestens 10 Jahre vergehen, bevor auch nur eine zusätzliche Barrel Öl gefördert und diese zusätzlichen „Klimabomben“ gezündet werden können.
Nicht minder wichtig ist der sogenannte „Chip-Krieg“, den die USA mit ihrem „Chips and Science Act“ gegen China angestoßen haben. Dabei handelt es zugleich um eine Art von „Kriegserklärung“ an wichtige Industriezweige verbündeter Staaten (in der EU, an Japan, Süd-Korea, ja selbst an Taiwan und Indien). Doch v.a. sollen die gegen multilaterales Handelsrecht verstoßenden Sanktionen der USA diese in die Lage versetzen, China davon abzuhalten, seinen Vorsprung bei digitalen „dual use-Technologien“ (etwa bei der Entwicklung von cloud computing und bei der Anwendung von KI) zu verteidigen oder gar auszubauen. Angesichts des enormen Bedarfs an Energie, Wasser und sogenannten „kritischen Metallen“, die für diesen „Krieg“ benötigt werden, liegt es auf der Hand, dass auch dadurch der „Krieg gegen den Planten“ intensiviert wird.
Bio-Diversität wird dramatisch vernichtet
Im gleichen Kontext ist heute auch von einem „Subventionskrieg“ zu lesen, ausgelöst durch den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ (IRA). Dieser soll sogenannte „clean technologies“ fördern und wird daher als US-amerikanische Variante eines „Green Deal“ beworben. Allerdings sind „clean technologies“ keineswegs identisch mit Technologien, die eine „sozial-ökologische Wende“ einleiten könnten. Denn bei den milliardenschweren Subventionen des IRA spielen das Fracking-Gas und die sogenannten „bio-fuels“ eine ganz zentrale Rolle. Daher ist damit zu rechnen, dass es zusätzlich zu der gesteigerten Föderung von Fracking-Gas durch die Subventionierung von sogenannten „Bio-Kraftstoffen“ zu einer Ausweitung der für Böden und Grundwasser schon jetzt desaströsen Massentierzucht in den US-Staaten südlich der Großen Seen kommen wird. Einmal ganz abgesehen davon, dass, so US-Präsident Biden in seiner Frühjahrsansprache „an die Nation“, solche als „sauber“ gekennzeichneten Technologien die Produktion von fossilen Energieträgern lediglich ergänzen und nicht etwa substituieren sollen.
Keiner dieser geopolitisch motivierten „Quasi-Kriege“ des letzten Jahres wird die Exploration, die Förderung und am Ende die Verbrennung fossiler Energieträger reduzieren helfen. Daher verwundert es nicht, dass Banken und große Investmentfonds, die u.a. die Sicherung der Pensionen von öffentlichen Beschäftigten in vielen Industrie- und Schwellenländern gewährleisten sollen, gegenwärtig massiv v.a. in fossile Energieträger investieren – und keineswegs in Technologien zur Erzeugung von erneuerbaren.
Alle diese sogenannten „Kriege“ und nicht allein die „heißen Kriege“, die gegenwärtig rund um die Welt ausgetragen werden, sorgen dafür, dass die CO2-Emissionen weiter steigen. Dies hat einen simplen Grund: der moderne Industriekapitalismus war und bleibt nur als ein fossiler möglich.
Bei anderen bio-physischen Systeme des Planeten, v.a. beim dramatisch fortgeschrittenen Verlust von Biodiversität oder beim Phosphat-Stickstoffzyklus, sieht es bekanntlich noch düsterer aus als hinsichtlich der CO-Eintragungen in die Atmosphäre. Dass in der erdgeschichtlich nur einem Wimpernschlag dauernden kurze Periode des modernen Industriekapitalismus 80 % der Biomasse aller natürlich vorkommender Säugetiere und 50% der Pflanzenbiomasse vernichtet wurden, ist eine gedanklich schwer nachvollziehbare Ungeheuerlichkeit.
Faktisch führt der laufenden „Krieg gegen den Planeten“ nicht allein zur Selbstvernichtung der menschlichen Spezies; er verengt zugleich, und das in dramatischem Umfang, die Möglichkeiten zukünftiger Evolution. Denn diese müsste auf der Basis von sehr viel weniger Arten erfolgen als es sie über Jahrmillionen gegeben hat.
Die menschengemachte Klimakatastrophe, die tatsächlich die größte Herausforderung darstellt, mit der der moderne Mensch konfrontiert ist, und die Krise der Biodiversität bedingen und verstärken sich gegenseitig. Daher müssten mindestens 30 Prozent, besser aber ca. 50 Prozent der Land-, Süßwasser – und Ozeanflächen (nach Einschätzung einer aktuellen Studie im Fachmagazin „Science“) unter Schutz gestellt und/oder renaturiert werden. Doch davon sind wir noch weiter entfernt als von der überlebensnotwendigen Reduktion der CO2-Eintragungen in die Atmosphäre.
Der moderne Mensch: zukunftsblind?
Ganz offensichtlich ist der modernen Mensch – wie der deutsche Sozialphilosoph Günther Anders dies einmal formuliert hat – prinzipiell zukunftsblind. Er kann sich die Zukunft nur als Verlängerung der Gegenwart vorstellen. Seine Angst, so Günther Anders, ist konzentriert auf den Verlust seines Arbeitsplatzes heute und wir können hinzufügen, auf den Verlust seines materiellen Vermögens, so er ein solches hat. Danach hat er vielleicht noch Angst vor dem Verlust seines Lebens morgen; doch fürchtet er eben nicht den Verlust der ganzen Welt am Tag danach. Blind vertraut er darauf, dass eine weitere technologische Revolution den Menschen aus den nun einmal gegebenen Grenzen allen Lebens auf Erden befreien wird – was selbstverständlich grober Unfug ist.
Kurzum, wir reduzieren die Lebensmöglichkeiten auf diesem Planten bis weit in die kommenden Jahrtausende, ja Jahrmillionen hinein – und halten es für unser „gutes Recht“ lediglich im Zeithorizont des eigenen Lebens zu denken und zu handeln. In diesem Sinne ist eine große Zahl der ErdenbürgerInnen tatsächlich aktiv in einen brutalen „Krieg gegen den Planeten“ beteiligt.
Doch leiden darunter am wenigstens diejenigen, die die größere Verantwortung für dieses Dilemma tragen und zugleich die meisten finanziellen und technischen Mittel hätten, für eine Umkehr zu sorgen. Eher setzen diese alles daran, zu verhindern, dass sich politische Entscheidungen auf nationaler, regionaler und globaler Ebene zuvorderst an einem „ökologischen Imperativ“ ausrichten. Eine solche Ausrichtung aller Politik würde verlangen, mit allen möglichen Mitteln – mit Recht und Gesetz, mit Eingriffen in die Eigentumsordnung, mit Rationierung von Energie, Wasser und vielen wichtigen nicht-energetischen Rohstoffen und ganz gewiss ohne den Einsatz militärischer Machtmittel und anderer Formen der „hard power“ – die je eigene (seien dies nationale oder klassenspezifische) Interessen einem „ökologischen Imperativ“ unterzuordnen.
Um Politik solchermaßen „vernünftig“ zu gestalten, müsste aber zuvorderst verstanden werden, dass der Moment der „Krisis“ tatsächlich der Moment der Entscheidung ist. Würde Krisis so verstanden, wäre spätestens jetzt der Moment, an dem sich die Menschen die Verantwortung für ihre Welt aufladen – für ihr eigenes Schicksal, aber auch für das all der anderen Lebewesen, von deren Existenz sie selbst und all ihre Nachkommen abhängig sind. Wie es scheint, haben dies vor allem die jungen Aktivisten der „Letzten Generation“ verstanden. Die Mehrheitsgesellschaften aber entfernen sich von diesem Verständnis von Krise immer weiter.
Selbst wenn die sogenannten “Klimapläne”, die die Regierungen angekündigt haben, tatsächlich umgesetzt würden, würden wir im Jahr 2100 noch immer bei einer Durchschnittstemperatur von fast 3°C landen. Die “Klimabomben”, die perverser Weise seit der als „Zeitenwende“ deklarierten Invasion der Ukraine durch Russland nun als zusätzliche Vernichtungswaffen gebaut werden, dürften das Tempo der Erderwärmung stärker beschleunigen als der Zubau von Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energie die Entwicklung abbremsen kann.
Wir befinden uns gegenwärtig auf einem Pfad, der den in den letzten Jahren geborenen Kindern einen Planeten hinterlässt, der so heiß sein wird, wie er schon einmal war, vor 50 Mio. Jahren. Das war lange bevor der “homo sapiens” begonnen hat, sich den Rest der Natur untertan zu machen und als vor 12 000 Jahren das für die menschliche Entwicklung so vorteilhafte “Holozän” begann.
Große Teile des Planeten werden unbewohnbar
Bei einer globalen Durchschnittstemperatur von 3°C oder gar mehr werden große Teile der Welt schlicht unbewohnbar sein, denn dort herrschen dann Temperaturen von bis zu 6°C mehr. In den Tropen, in Küstengebieten, in den Polarregionen und im Hochgebirge aber sind die “Grenzen der Anpassungsfähigkeit” bereits heute erreicht und daher steht, außer einer Migration, eigentlich keine Option mehr offen; von Fehlanpassungen einmal abgesehen.
Absehbar große Migrationsströme werden sich selbstverständlich nach Europa ausrichten – egal wie warm es auch in den nördlichen Breiten werden wird. Denn Europa ist der im monetären Sinne reichste Teil jener großen Landmasse, um deren Kontrolle imperiale Mächte seit 500 Jahren miteinander im Konflikt standen und stehen. In Zukunft wird Europa ganz gewiss nicht in der Lage sein, die gemeinsame Landmasse, auf der bald 80 Prozent der Weltbevölkerung leben und auf und in der sich viele der begehrten Rohstoffe befinden, zu beherrschen. Wohl aber müssen die europäischen Staaten damit rechnen, dass viele Menschen aus den von der Klimakatastrophe besonders hart betroffenen Regionen Südasiens, des Mittleren Ostens, des nördlichen Afrikas und der Sahelzone, Zuflucht dort suchen, wo ein Leben zumindest kurzfristig noch möglich scheint. Daher steht zu befürchten, dass bewaffnete Auseinandersetzungen um das Allernötigste an den Grenzen Europas, aber ebenso innerhalb seiner Mitgliedsstaaten die „neue Normalität“ bestimmen werden.
Das in der Hochphase der Globalisierung vor allem in der Europäischen Union gepriesene Prinzip der „menschlichen Sicherheit“, an das sich schon heute kaum eine/einer erinnert, dürfte dabei gänzlich in Vergessenheit geraten. Also bewaffnen sich die europäischen Staaten, ebenso wie ihre westlichen Verbündeten und ihre östlichen Herausforderer mit modernen digitalen Technologien: mit Algorithmen und Could Computing, mit SuperChips und noch schnelleren Telekommunikationsverbindungen und mit vielen Gerätschaften, die autonomes Fahren und Fliegen, aber auch das Töten aus großer räumlicher Distanz ermöglichen – brauchbar für den Einsatz im zivilen wie militärischen Bereich, zu Land, zur See, in der Luft und im Weltall.
Dafür geben die großen Industriestaaten, allen voran die USA, horrende Summen aus, verpackt als Maßnahmen zur Herstellung “technologscher Souveränität”, dem materialen Gerüst für jedwede nationale und militärische Souveränität. Gleichzeitig verhallt der Ruf der von den Folgen der ökologischen Katastrophe schon heute schwer getroffenen armen Länder im Globalen Süden nach lächerlichen 100 Mrd. $ pro Jahr für ihre Anpassung an den Klimawandel. Auch eine ebenfalls seit Jahrzehnten eingeklagte Streichung von Schulden der besonders armen Länder, die in der Folge des Sanktionsregimes, das die westlichen Staaten gegen Russland etabliert haben, seit einem Jahr wieder dramatisch ansteigen, findet nicht statt.
Das römische Reich – mangelnde Resilienz
Nein, Geschichte wiederholt sich nicht. Doch ist daran zu erinnern, dass der moderne Industriekapitalismus nicht die erste Gesellschaftsformation wäre, die an mangelnder Resilienz zugrunde geht.
Auch das Römische Reich, das immerhin fast 1000 Jahre existierte – und nicht nur 250-300 Jahre wie der moderne Industriekapitalismus auf fossiler Basis – ist, wie der Althistoriker Kyle Harper („Fatum“) gezeigt hat, an mangelnder Resilienz gescheitert: Es war gewöhnt an erfolgreiche territoriale Expansion, an vorteilhaften Fernhandel und wachsendem Reichtum im Inneren des Reiches, in dem sich eine noch heute bewunderte Zivilisation entfalten konnte. Seine Bevölkerung wuchs beständig, dank einer vorzüglichen Nahrungsmittelversorgung, die sich ihrerseits einem klimatischen Optimum verdankte, das allerdings nur einige Jahrhunderte währte. Dazu kam ein riesiger militärischer Machtapparat und ein trotz aller Friktionen doch funktionsfähiges System der Verwaltung resp. der Steuereintreibung über extrem weite Distanzen hinweg.
Und doch erwies sich dieses Imperium – wie andere große menschliche Zivilisationen zuvor – als unfähig mit gleichzeitig auftretenden Krisen und Konflikten umzugehen: Eine damals nicht von Menschen gemachte ökologische Krise, die die Durchschnittstemperatur sinken ließ, und dazu drei aufeinander folgende Pandemien ließen die Nahrungsquellen schrumpfen und in deren Folge die Bevölkerung des Reiches. Hinzu kamen innerimperiale Konflikte und unzureichende Reformen von Staat und Verwaltung, die die Stabilität des Imperiums im Inneren erschütterten – und dann zuletzt auch noch der Ansturm von anderen Völker, von den Römern als „Barbaren“ bezeichnet, die vom Norden und Osten in das Reich einfielen.
Der Untergang des nach damaligem Weltverständnis nahezu globalen Römischen Reiches dauerte 140 Jahre, danach war es Geschichte – so wie andere große Reiche, vor allem in Asien ebenfalls – und für Europa begann das „dunkle Mittelalter“.
Der fossile Industriekapitalismus kommt zu Ende
Auch der fossile Industriekapitalismus, der uns in einen „Krieg gegen den Planeten“ gezwungen hat, wird an ein Ende kommen – und mit ihm die Wirksamkeit jener „Zauberformel“, die seine bislang 250jährige Geschichte geprägt hat. Diese Formel lautet: Durch den Einsatz von vielen „Energiesklaven“, die aus fossilen Energieträgern geformt werden und die Energieproduktion von Menschen, Sonne, Wind und Wasser um eine vielfaches übersteigen, lässt sich die Produktivität pro Hektar Erdoberfläche wiederholt steigern. Doch wie bereits Immanuel Kant festgestellt hat, handelt es sich bei der „Kugelfläche der Erde“ um einen begrenzten Raum. Daher sind wir heute allenthalben mit sogenannten „trade offs“ konfrontiert: mit der Nutzungskonkurrenz für definitiv begrenzte Flächen von Land und Meer. Diese lassen sich, klug gestaltet, vielleicht für zwei unterschiedliche Zwecke gleichzeitig nutzen, aber gewiss nicht für beliebig viele.
Wenn indes die Energieproduktion pro Hektar Landes auf dem Planeten nicht mehr gesteigert werden kann, so wird auch das für jede menschliche Entwicklung schädliche Existenzprinzip des modernen Industriekapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen sein. Jenes Prinzip wonach der Markt mit seinem kruden Preismechanismus darüber entscheiden soll, was von menschlichen Gemeinschaften und deren Politik, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene geregelt werden müsste und geregelt werden könnte.
Auch wenn derzeit fast nichts dafürspricht, dass ein Ende des Kapitalismus herbeigeführt wird, bevor die Erdsysteme wie Dominosteine kippen, sollten wir diesem System und nicht dem Planeten den Krieg erklären. Denn der Kapitalismus hat keine Zukunft. Er kollabiert freilich nicht von allein, sondern kommt nur zu einem Ende, wenn eine große Zahl von Menschen sich, wie Günther Anders dies formuliert hat, eine Zukunft vorzustellen kann, die nicht eine bloße Verlängerung der Gegenwart wäre.
Hoffen wir zusammen darauf, dass dies noch rechtzeitig gelingen möge