Atomtests im Pazifik: Noch immer verstrahlt TP
Angesichts der wachsenden Atomkriegsgefahr im Zuge des Ukraine-Kriegs sollten die Atomtests im Pazifik eine Warnung sein. Bis heute wird verstrahlten Menschen und Regionen nicht geholfen. Was damals wirklich passierte und heute ausbleibt.
von Ingrid Schilsky – Telepolis (15.7.2022)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Atomtests-im-Pazifik-Noch-immer-verstrahlt-7179928.html
Auszüge:
Etwa 315 Atombomben haben die Kolonialmächte USA, Großbritannien und Frankreich zwischen 1946 und 1996 auf pazifischen Inseln zu Testzwecken gezündet. Viele Menschen, zum Teil in Folgegenerationen, leiden bis heute unter den gesundheitlichen Auswirkungen der radioaktiven Verstrahlung; einige Inseln werden auf Dauer hochgradig verstrahlt bleiben. Ob der Atomwaffenverbotsvertrag mit seinem Passus zu „Hilfe für Opfer und Umweltsanierung“ den pazifischen Inselstaaten wirklich nukleare Gerechtigkeit bringen wird, bleibt abzuwarten.
Krankenbetten, Spritzen, Blut, mehr Spritzen, Kummer und Leid“ – das assoziieren viele BewohnerInnen der Marshall-Inseln, wie Meitaka Kendall-Lekka vom Likiep-Atoll, noch in dritter Generation mit den 67 oberirdischen US-Atombombentests auf den Atollen Bikini und Enewetak in den Jahren 1946 bis 1958. Bis heute am gravierendsten sind die Folgen der Explosion der Wasserstoffbombe „Bravo“ am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll mit 15 Megatonnen Sprengkraft – mehr als dem 1000-fachen der Hiroshima-Bombe – die größte Explosion, die die USA jemals gezündet haben. Millionen Tonnen von Material wurden aus einem 76 Meter tiefen und zwei Kilometer weiten Explosionskrater in die Luft gerissen und regneten Stunden später als „Schnee“ auf bewohnte Inseln.
Bald zeigten sich Verbrennungen, Haarausfall, Übelkeit; den großen Durst löschte man mit kontaminiertem Wasser. Zwei bis drei Tage später wurden die Einheimischen von vier Atollen, darunter dem Rongelap-Atoll, auf Militärschiffen der USA, denen die Inseln als UN-Treuhandgebiet anvertraut waren, evakuiert. Die Menschen auf anderen verstrahlten Inseln, wie etwa dem Likiep-Atoll, blieben ahnungslos und ernährten sich weiterhin aus verseuchten Lagunen und vom vergifteten Land. […]
Mehr in kollektiver Erinnerung als die britischen Nukleartests dürften die Atomwaffenversuche in Französisch-Polynesien sein, die nach weltweiten Protesten erst 1996 endeten. Frankreich hatte sein Nuklearwaffenarsenal zunächst in Algerien erprobt, ab 1960 mit vier oberirdischen Tests in der Sahara, denen, mitten im algerischen Unabhängigkeitskrieg, 13 unterirdische Atomwaffentests folgten.
Gleichzeitig hatte Staatspräsident de Gaulle die ersten geheimen Vorbereitungen in der französischen Kolonie im östlichen Pazifik veranlasst. Am 2. Juli 1966 wurde die erste atomare Sprengladung auf einem in der Lagune von Mururoa verankerten Schiff gezündet – drei Jahre nach Inkrafttreten des partiellen Teststopp-Vertrages, dem sich Frankreich bis dahin nicht angeschlossen hatte.
Die radioaktiven Niederschläge der folgenden, mindestens 40 oberirdischen Atomexplosionen auf den Atollen Mururoa und Fangataufa verseuchten Inseln und Länder in tausenden Kilometern Entfernung. Peru brach seine diplomatischen Beziehungen zu Frankreich ab, Australien und Neuseeland protestierten mit Fregatten vor Ort, zogen vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und erreichten 1973 eine einstweilige Anordnung gegen die oberirdischen Tests, aber diese gingen vorerst weiter. […]
Auf der Insel Runit im Enewetok-Atoll tickt eine Zeitbombe. 43 Atombomben waren hier gezündet worden, mit Unfällen, bei denen sich hochgiftige Plutoniumpartikel verteilten. Um einen Teil des Atolls wieder „bewohnbar“ zu machen, mussten tausende Arbeiter aus den USA in den 1970er-Jahren (ohne Schutzkleidung) über 100.000 Kubikmeter verseuchtes Material in einen Explosionskrater der Insel Runit verfüllen, ohne Versiegelung direkt auf den porösen Korallenkalkstein. Die darauf gesetzte Betonkuppel weist schon viele Risse auf – und liegt auf Meereshöhe. […]