Gemeinsame Probleme von Umwelt- und Friedensbewegung
Nachfolgend wird auf mehrere Beiträge verwiesen, die sich in erster Linie mit dem wenig durchschlagenden Erfolg der Umweltbewegung befassen, auch als Ergebnis der Bundestagswahl 2021. Wenngleich sich nur der Beitrag von Meinhard Creydt vom 21.8.2021 explizit auch mit der Friedensbewegung befasst – im Sinne von Parallelität zur Klimaschutzbewegung – so sind auch die anderen Beiträge für die Friedensbewegung zumindest indirekt relevant.
Zusammenstellung und Textauswahl von Karl-Heinz Peil (3.10.2021)
Inhalt
Beim Klima fundamental, ansonsten solide unkritisch (Meinhard Creydt)
„Gut gemeint“ erweist sich oft als Gegenteil von „gut“, wenn Verantwortung individualisiert und moralisiert wird.
von Meinhard Creydt – Telepolis (21.8.2021)
[…] Viele Anhänger der Klimaschutzbewegung meinen, es handele sich um die zentrale Frage unserer Epoche. Zugleich bildet diese Bewegung eine Ein-Punkt-Bewegung. Die spannungsvolle Einheit dieser beiden Momente fand sich bereits in der westdeutschen Friedensbewegung der frühen 1980er Jahren. Sie richtete sich gegen die „Nachrüstung“. […]
Die Friedensbewegten erachteten die „Verhinderung des 3. Weltkriegs“ als die epochale Frage, die in der Relevanzhierarchie über allen anderen Zielen stand. Die Einschüchterung im softlinken, „alternativen“ und grünen Segment der westdeutschen politischen Öffentlichkeit in den 1980er Jahren durch das Kriegsthema war enorm. Ebenso wie heute im Klimaschutz ging es damals (nur noch) um das Überleben. Jede(r) habe sich, so der Bewegungs-Tenor, auf diese notwendige Bedingung für alles andere zu konzentrieren. Ohne Frieden oder ohne Klimaschutz sei alles andere in Frage gestellt. […]
„First things first“ heißt in solchen Bewegungen: Sie kennen keine anderen Konflikte und keine bestimmten sozialen Kräfte mehr, sondern sammeln die verschiedensten Anhänger, insofern diese sich nur mit dem einen absoluten Ziel – dem Engagement für „den Frieden“ oder „den Klimaschutz“ – identifizieren. Gewiss lassen sich äußere Bezüge verschiedener sozialer Gruppen oder Schichten der Bevölkerung zum jeweiligen Thema finden. […]
Die Leistung solcher Bewegungen besteht darin, der Angst vor „dem atomaren Weltkrieg“ bzw. vor dem „Klimakollaps“ öffentlich Raum zu geben und diese Angst als legitim wahrzunehmen. Sie soll nicht länger als „alarmistisch“ oder „hysterisch“ abgetan oder verbellt werden. Gleichzeitig bieten diese Bewegungen keine Kräfte auf, die in bestimmten sozialen Konfliktbereichen gründen.
Aus diesen können Realutopien anderer Organisations- und Kooperationsformen, anderer Vernetzungs- und Vergesellschaftungsweisen entstehen. Nicht so bei der Friedens- und Klimaschutzbewegung. Gewiss bemühen sich manche ihrer Vordenker darum, zu folgern und zu proklamieren, was für soziale Bedingungen dafür erforderlich sind, dass sich Frieden und Nachhaltigkeit sichern lassen. Das ist aber ein top-down-Vorgehen. […]
Solche Bewegungen wie die Friedens- und Klimaschutzbewegungen verwickeln sich in einen für sie charakteristischen und sie zersetzenden Widerspruch: Einerseits haben sie etwas Ultimatives: Ohne Frieden oder ohne Klimaschutz sei alles andere nichts. Anderseits ist der Großteil der gegenwärtigen Grünenwähler brav und bieder wie nie zuvor. […]
Quelle: https://telepolis.de/-6171282
Illusionsgemeinschaft (Radiointerview mit Harald Welzer, 27.9.2021)
Einen Tag nach der Bundestagswahl hat der Sozialpsychologe Harald Welzer in Radio Eins das Ergebnis der Bundestagswahl kommentiert. Hier sind einige Auszüge:
-
Je offensichtlicher die Folgen des Klimawandels sind, […] desto weniger wählt man die, die vor dem Klimawandel warnen.
-
Alle Parteien liefern Lehrbuchbeispiele für die Theorie der kognitiven Dissonanz: Sie ändern nicht die Wirklichkeit, sondern ihre Deutung der Wirklichkeit.
-
Diese Wahl dokumentiert eine kollektive Wirklichkeitsverweigerung.
Die Deutschen und ihre Parteien bilden eine vollkommen harmonische Illusionsgemeinschaft.
Quelle: https://www.oekologische-plattform.de/2021/10/illusionsgemeinschaft/
Umwelt abgewählt (Harald Klimenta, 3.10.2021)
Wenn die Bundestagswahl 2021 etwas zeigt, dann, dass die Umweltbewegung zu klein und ihre Kommunikation miserabel ist
von Harald Klimenta – Telepolis (3.10.2021)
1986 beschrieb der Soziologe Ulrich Beck unser Dasein als Leben in einer „Risikogesellschaft“, die die Klassengesellschaft sowie die Aufstiegsgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr ablöst: „An die Stelle der Gemeinsamkeit der Not tritt die Gemeinsamkeit der Angst“.
Die ökologischen Risiken sind meist abstrakt und unsichtbar und betreffen die meisten Menschen selbst 35 Jahre später noch nicht unmittelbar. Veränderungen wie Klimawandel, Artensterben, Ablagerung von Giften und andere gehen langsam vonstatten, sodass wir uns daran gewöhnen. […]
Ulrich Beck fragte bereits vor 35 Jahren: „Ist Angst vielleicht – anders als materielle Not – ein sehr schwankender Grund für politische Bewegungen? Kann die Gemeinsamkeit der Angst vielleicht schon durch die dünne Zugluft von Gegeninformationen auseinander geblasen werden?“
Heute lässt sich erkennen, dass über 40 Jahre nach Gründung der Grünen, nach zahllosen Umweltkatastrophen und eindeutigen wissenschaftlich-abstrakten Erkenntnissen, eine erdrückende Mehrheit der Bevölkerung Umweltgefahren zwar anerkennt, sich aber selbst bei Wahlen von irgendwelchen anderen Präferenzen leiten lässt. […]
Der „Wirbel“, den die Umweltbewegung 2019 erzeugen konnte, zeigt, dass mehr politisches Engagement tatsächlich Veränderungen ermöglicht.
Doch die Zahl der tatsächlich politisch aktiven umweltbewegten Menschen ist viel zu gering, z. B. um auch zwischen großen Umweltprotesten im tagespolitischen Klein-Klein permanent Impulse zu setzen.
Ebenso kommen die Menschen aus zu wenig unterschiedlichen Milieus, als dass die Umweltbewegung als eine gesamtgesellschaftliche Bewegung wahrgenommen würde.
Die wichtigsten Aufgaben der Umweltbewegung für die kommenden Jahre sind somit: Ihren Aktivenstamm zu vergrößern und in der Breite anschlussfähiger zu kommunizieren. […]
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Umwelt-abgewaehlt-6206870.html
Sechs Vorschläge an die Umweltbewegung (Harald Klimenta, 18.7.2021)
Trotz aller Erfolge stockt die Umweltbewegung. Die Ursachen zu beheben wäre nicht schwer – wenn Millionen mitmachen
von Harald Klimenta – Telepolis (18.7.2021)
[…] Weltweit verschließe ich immer wieder die Augen, um nur nicht zu genau zu erfahren, wer oder was jetzt gerade niederbrennt, austrocknet oder ausstirbt. Was ist da los, dass einerseits breite Bevölkerungsteile innerhalb der hochentwickelten Industriestaaten ökologische Probleme anerkennen oder bereits leibhaftig mit ihnen konfrontiert sind, andererseits die wachsende Umweltbewegung so erschreckend wenig Substanzielles jenseits bloßer Aufklärung erreicht? […]
Alle stimmen den beunruhigenden Erkenntnissen zu, doch die einen wollen nur Greenwashing, die anderen den System Change. Die Fronten sind verhärtet, und so wird vor allem geredet und das geht jetzt seit 30 Jahren so.[…]
Anbei sechs Vorschläge an die Umweltbewegten.
Die verflixte Kommunikation
Erstens: Alarmismus ist zu unterlassen. Ulrich Beck schreibt in dem eingangs genannten Buch aus dem Jahre 1991: Es „wachsen mit der Größe und der Nähe einer Gefahr die Widerstände gegen die Einsicht in die Gefahr. … Das Bombardement mit apokalyptischen Visionen wirkt deshalb leicht kontraproduktiv, bestärkt Ohnmacht und Fatalismus.“ […]
Zweitens: Ökologisches Handeln muss von der Mehrheit einer Gesellschaft als Verbesserung gegenüber dem Status quo, d.h. als Fortschritt wahrgenommen werden. Das ist eine Frage der Kommunikation und nicht der Inhalte. Die Reklameindustrie ist in der Lage, den Menschen Wasser aus Glas- oder Plastikflaschen, das mehr als hundertmal teurer als Leitungswasser ist und umständlich herumgekarrt werden muss, als eine „Modernisierung“, eine Verbesserung ihrer Lebensumstände zu verkaufen. […]
Fünftens: Eine Überbetonung freiwilliger, individueller Verhaltensänderungen unterminiert das viel wichtigere Ziel der Umweltbewegung, mit breiter Akzeptanz politische Weichenstellungen durchzusetzen, um zukunftsfähiges Handeln allgemeinverbindlich festzuschreiben.[…]
Sechstens: Die Klimabewegung muss als Maßstab für fortschrittliche Entwicklungen auf das Wohlbefinden der Menschen fokussieren. Dann wird das Kernproblem innerhalb unserer Industriegesellschaft offenkundig: Die Lebenszufriedenheit in Deutschland steigt trotz allem Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten nicht an.
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Sechs-Vorschlaege-an-die-Umweltbewegung-6140834.html