Kriegsfolgen im Irak: Umwelt zerstört bis in alle Ewigkeit
Inhalt
„The Green Zone – The Environmental Costs of Militarism“
Buchautor: Barry Sanders (2009)
Buchbesprechung von Karl-Heinz Peil – Online-Fassung eines Beitrages aus: FriedenJournal Nr. 4-2019 – (9.7.2019)
Es gibt heute wohl sehr wenig politische Bücher, die auch 10 Jahre nach ihrem Erscheinen noch relevant sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um einen Bestseller, sondern um ein Buch, das bisher nur Insidern bekannt und auch nicht ins Deutsche übersetzt wurde.
Barry Sanders ist der erste Autor, der sich ganzheitlich mit den Belastungen für Umwelt und Klima durch das Militär befasst hat. Ausgangspunkt war dabei der zweite Irak-Krieg der USA, nachdem bereits der Krieg 1991 durch brennende Ölfelder markiert war und im Nachgang die gesundheitlichen Schäden bei Soldaten und irakischen Zivilisten durch Uranmunition auftraten.
„Grüne Zone“?
Der Buchtitel „Green Zone“ wird von Barry Sanders selbst nicht erklärt. Der Autor des Vorwortes vermutet aber zu Recht eine ironische Anspielung auf Orte unseres Planeten, die abgeschottet von der Umwelt den Raum für Kreativität und ethisches Handeln bieten. Als berüchtigste Perversion eines solchen Prinzips gilt die „Grüne Zone“ in Bagdad, die nach 2003 mit hohen Betonmauern und Stacheldrahtzaun umgeben zur US-amerikanischen Festung ausgebaut wurde, als größte und teuerste diplomatische Vertretung der USA weltweit.
Ausgangspunkt und Haupt-Anliegen des Buches ist aber der Klimawandel und der Anteil des Militärs am Ausstoß von Treibhausgasen und Luftschadstoffen. Bis zum heutigen Tag sind aus dem Pentagon selbst dazu keine Zahlen erhältlich. Barry Sanders versuchte in seinem Buch erste, vorsichtige Abschätzungen zu geben. Beispielhaft dafür steht die Kriegsmaschinerie, die gegen den Irak 2003 zum Einsatz kam, einschließlich der abgeworfenen Bomben und die hierdurch freigesetzten Luftschadstoffe.
Wie viel CO2-Ausstoß erzeugt das US-Militär?
Eine besondere Schwierigkeit liegt auch darin, dass der Einsatz von Kraftstoffen für das Militär wegen der weltweit über 800 Militärbasen auch größtenteils in den dortigen Ländern erfolgt und allein die Beschaffung von Kraftstoffen innerhalb der USA für die dortigen Militärbasen ein nur sehr unvollständiges Bild ergibt.
Barry Sanders schätzte den jährlichen CO2-Ausstoß des US-Militärs auf 73 Mio. Tonnen, die den offiziellen Zahlen der Treibhausgas-Emissionen der USA noch zugeschlagen werden müssen.
(Zum Vergleich und Verständnis dieser Größenordnung: Die beiden größten Braunkohle-Kraftwerke Deutschlands verursachen jährlich zusammen ca. 50 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß.)
Der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses kam dennoch 2012 in einer Analyse zu dem Schluss, dass das Pentagon der größte Energieverbraucher in den USA und auch weltweit der größte institutionelle Einzelverbraucher ist.
Eine im Juni 2019 veröffentlichte Studie aus den USA (Costs of War – Projekt – herausgegeben vom Watson Institute der Brown University) kommt zwar zu einem ähnlichen Ergebnis wie Barry Sanders, beinhaltet aber darüber hinaus die Rüstungsindustrie der USA. Deren CO2-Fußabdruck beläuft sich danach auf das Dreifache des US-Militärs selbst, d.h. von dem, was mit dem operativen Einsatz von Rüstungsgütern an CO2-Ausstoß erfolgt.
Umwelt-Schadstoffe nicht nur durch Uranmunition
Der Vorzug des Buches von Barry Sanders liegt darin, dass er seine grundlegenden Recherchen beispielhaft an der Situation im Irak festmacht, wo er die gesamte Bandbreite der dort verursachten ökologischen Verwüstungen untersucht.
In gewisser Weise sind seine Ausführungen deshalb eine Ergänzung dessen, was Naomi Klein 2007 in ihrem Buch „Die Schock-Therapie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ beschrieben hat. Sie schildert dort die wirtschaftliche Total-Zerstörung des Irak durch die US-Besatzer. Naomi Klein spricht in ihrem Buch übrigens auch von den „Grünen Zonen“.
Ökologisch begann für den Irak die Katastrophe mit dem massiven Einsatz von Uranmunition, der bereits 1991 erfolgte und die 2003 – so die Recherchen von Barry Sanders – in noch wesentlich größerem Umfang eingesetzt wurde.
Angesichts der radioaktiven Halbwertszeit des abgereicherten Urans von 4,7 Mrd. Jahren (!) bestehen damit Umweltlasten für die Ewigkeit. Die von ihm genannte Vervierfachung von genetischen Schäden bei Neugeborenen in der Region von Basra, wo eine besonders hohe Konzentration an abgereichertem Uran gemessen wurde, stellt damit eine dauerhafte Gesundheitskrise dar. Da Pflanzen und Tiere ebenfalls die Uranpartikel absorbieren, werden diese – einmal im Boden im Trinkwasser gelandet – zu einem langfristigen Teil der Nahrungskette.
Auch zu den davon betroffenen US-Kriegsveteranen aus den Irak-Kriegen 1991 und 2003 hat Barry Sanders ebenfalls belastbare Zahlen ermittelt.
Deshalb wiederholt er in diesem Kapitel die sich aufdrängende Frage: Wie kann es sein, dass angesichts der prinzipiell bekannten Fakten über Uranmunition darüber in den USA praktisch nichts in den Zeitungen berichtet wurde, sondern lediglich über einige Internetseiten etwas zu erfahren ist?
Diese Frage gilt nach wie vor auch für Deutschland, wie der Filmemacher Frieder Wagner nach seinem 2006 erstellten Film „Todesstaub“ bis heute als Opfer einer eindeutigen Zensur durch die sogenannten Leitmedien erleben muss.
Von Barry Sanders werden in einem weiteren Kapitel die weiteren „unkonventionellen“ Waffen behandelt. Inhaltsstoffe sind hierbei vor allem Aluminiumpulver und Perchlorate. Noch schockierender ist eine neuere Version von Napalm, das seit einer UN-Konvention aus dem Jahr 1980 geächtet ist, worin deren Einsatz gegen zivile Ziele untersagt ist. Die USA, die Napalm im Vietnam-Krieg massenhaft einsetzten, haben allerdings diese Konvention nie unterzeichnet. Dennoch sah man sich 2003 seitens des US-Militärs genötigt, den Einsatz von Napalm im Irak zu verneinen. Barry Sanders weist nach, das dieses zwar technisch gesehen zutreffend war, dass es sich aber um modifizierte Kampfstoffe gehandelt haben, die nicht exakt den UN-Definitionen für Napalm entsprachen. Auch zum Afghanistan-Krieg – der an mehreren Stellen zusätzlich erwähnt wird – gab es ähnliche Aussagen. So sagte US-General Franks zum Bombardement der Höhlen von Tora Bora in Afghanistan wörtlich: „We‘re not using the old Napalm in Tora Bora“.
Eine weitere kontroverse Waffe, die z.B. von der US Army 2004 in Falludscha gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kam und gut dokumentiert ist, ist weißer Phosphor. Von der US-Umweltbehörde EPA wird dieser als hoch gefährlicher Luftschadstoff eingestuft.
Auch indirekte Umweltfolgen werden angesprochen. Der Irak-Krieg führte zu vielen Millionen Binnenflüchtlingen und vor allem über die Grenze nach Syrien. Flüchtlingslager haben in diesen Regionen zu massiver Entwaldung beigetragen, was in Zeiten des Klimawandels im Mittleren Osten zum Kollaps des Ökosystems und bereits heute lebensfeindlichen, sommerlichen Hochtemperaturen beigetragen hat.
Zehn Jahre nach Erscheinen der investigativen Arbeit von Barry Sanders scheint endlich Bewegung in die wissenschaftlich noch notwendige Aufbereitung der Rolle des Militärs beim beschleunigten Klimawandel zu kommen. Neben der bereits genannten Studie aus den USA, die am 12.6.2019 veröffentlicht wurde, gibt es parallel dazu auch eine Studie aus Großbritannien, die noch weiter reichende Recherchen beinhaltet (siehe unten).
Der verdienstvolle Inhalt des Buches aus dem Jahr 2009 bestätigt, was der Autor in der Einleitung geschrieben hat:
„Here‘s the awful truth: even if every person, every automobile, and every factory suddenly emitted zero emissions, the earth would still be headed, head first and at full speed, toward total disaster for one major reason. The military produces enough greenhouse gases, by itself, to place the entire globe, with all its inhabitants large and small, in the most immanent danger of extinction.“